Archivbestand
Nachlass Oswald Stallmann (Bestand)
Form und Inhalt: Der Nachlass von Oswald Stallmann (geb. 14. Febr. 1897, Minden) wurde der Abteilung Stadtarchiv am 24. Januar bzw. am 1. März 2017 von Anni Stallmann, Helgastr. 8, Minden, übergeben. Anni Stallmann war mit Joachim (Jochen) Stallmann (17. Jan. 1937, Minden - 3. Febr. 2013, Minden) verheiratet. Sein Vater war Paul Stallmann, ein Bruder von Oswald Stallmann. Joachim Stallmann hatte diesen Nachlass, der auf dem Dachboden des Hauses Viktoriastraße 7 / Süntelstraße 2, dem Wohnhaus der Geschwister Stallmann, aufbewahrt worden war, nach dem Tod seiner bis zuletzt dort lebenden Tante Magdalene (Lene) Stallmann (17. Apr. 1892, Minden - 9. Jan. 1981, Minden) übernommen.
Oswald Stallmann, mit vollem Namen Albert Arthur Oswald Stallmann, wurde am 14. Februar 1897 in Minden geboren (Geburtsregister Minden, 90 / 1897). Laut Einwohnermeldekartei der Stadt Minden zog er am 3. Aug. 1916 von Petershagen nach Minden in die Feldstraße 23. In Petershagen war er wohl zur Ausbildung im dortigen Lehrerseminar (vgl. WN 27 - Nachlass Oswald Stallmann, Nr. 66). Am 5. September 1916 zog er nach Kutenhausen (vgl. Einwohnermeldekartei Stadt Minden); von dort schreibt er am 9. Sept. 1916 in einem Brief an seinen Bruder Wilhelm (Willy) Stallmann, dass er die Lehrerwohnung in der dortigen Schule bezogen habe (WN 27 - Nachlass Oswald Stallmann, Nr. 63). Kurz darauf schließt sich seine Militärzeit im Ersten Weltkrieg an: Im Frühjahr / Sommer 1917 ist er an der Westfront, wo er im Juli 1917 durch einen Schuss ins Knie verwundet wird. Er wird zur Genesung ins Lazarett nach Northeim gebracht. Am 4. März 1919 meldet er sich nach der zum 1. März 1919 erfolgten Entlassung vom Militär wieder in Minden, Feldstraße 23, an. Vom 26. März 1919 bis zum 6. Apr. 1920 hält er sich in Borgholzhausen, Kreis Halle, auf. Ob er dort als Lehrer tätig war oder bei Verwandten, der Familie Vögeding, auf dem Bauernhof arbeitete, ist nicht bekannt. Danach schließt sich ein Aufenthalt in Lenzinghausen, heute Ortsteil von Spenge im Kreis Herford, an. Hier wohnte Oswald Stallmann im Haus Nr. 144. Hier war er als Lehrer tätig. Am 30. Oktober 1930 zieht er nach Bielefeld in die Neuenkirchener Str. 9, vermutlich als Untermieter in die Wohnung von Elisabeth Schmidt, zu der er bis kurz vor Ende des Krieges brieflich Kontakt hält, obwohl sie mit ihrer Tochter kriegsbedingt zunächst nach Lübeck und dann nach Goslar verzog (vgl. WN - Nachlass Oswald Stallmann, Nr. 37 (Elisabeth (Lilly) Schmidt) u. Nr. 38 (Hanna Schmidt)). Zum 1. Mai 1935 kam er als Volksschullehrer nach Osnabrück (Personalakte im Niedersächsischen Landesarchiv, Standort Osnabrück, Rep 430 Dez. 400 Nr. 3466 sowie Az. 72/1996 Nr. 47). Bis Kriegsbeginn war er an der dortigen Kreuzschule tätig; zu den Lehrerinnen und Lehrern, auch zu den Schülerinnen und Schülern hält er von der Front aus Kontakt (vgl. WN 27, Nr. 22 - 32); aus diesen Briefen geht sehr detailliert der alltägliche Schulbetrieb unter den Bedingungen des Krieges hervor. Laut Aufzeichnungen der Landesschulbehörde Niedersachsen gin Oswald Stallmann am 17. Oktober 1940 in Ruhestand; seine Personalakte wurde 1996 vernichtet (vgl. WN 27, Nr. 82). Während des Zweiten Weltkriegs ist Oswald Stallmann an der Ostfront eingesetzt und im Süddeutschen wohl als Ausbilder tätig: Zu seinen Stationen, soweit sie sich aus den Adressen der an ihn gerichteten Briefe erschließen lassen, gehörten: November 1939 bis März 1940: Abholpostamt Brzesko / Postleitpunkt Krakau 2; Juni 1940: Abholpostamt Warschau C 1 / Kampfschule Rembertow; Nov. 1940 - März 1941: Ottweiler / Saar bei der 6. Komp. Inf. Reg. 647; Apr. 1941 - Juni 1941: Völklingen / Saar bei der 2. Komp. Inf. Reg. 433; Juli 1941 - Okt. 1941: Ottweiler / Saar bzw. Westmark; Okt. 1941 - Jan. 1942: Saarlautern / Graf-Werder Kaserne; Febr. 1942 - März 1942: Görlitz / Winterfeldkaserne; Mai 1942: Heidelberg / Nachrichtenkaserne; Juni 1942 - Aug. 1942: Saarbrücken / Below-Kaserne; Sept. 1942 - Nov. / Dez. 1942: Berlin-Friedrichshagen; (ab) Febr. 1943: Russland; Juli 1944: Warschau. Im April / Mai 1941 wurde Oswald Stallmann zum Leutnant befördert. Im Juni 1944 wurde er an der Front an einem Fuß und an einem Auge verletzt. Er wurde dann ins Reservelazarett nach Wernigerode / Harz gebracht, wo er bis August 1944 blieb. Im September 1944 nahm er in der Ludendorff-Kaserne in Potsdam-Nedlitz am Lehrgang für genesende Offiziere im Wehrkreis III teil. Ansonsten wurde seine Post an folgende Feldpostnummern geschickt: anfangs Postsammelstelle Dortmund, dann 24084, 22911, 16761 u. 22311C. Über seinen weiteren Verbleib ist bislang nichts bekannt. Ein Todesdatum ließ sich weder in den Standesamtsregistern der Stadt Minden als dem Ort seiner Geburt noch in den Standesamtsregistern der Stadt Osnabrück als dem Ort seines letzten zivilin Aufenthalts ermitteln. Nach Informationen der Deutschen Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht wurde Oswald Stallmann dort letztmalig mit einer Meldung vom November 1944 als Angehöriger der Einheit Wehrmacht-Streifen-Gruppe zur besonderen Verwendung erfasst; eine Vermisst- oder Todesmeldung liegt nicht vor; er war Träger der Erkennungsmarke: -775 - 2. Landes-Schützen-Bataillon 433 2. Kompanie. Laut Anni Stallmann soll Oswald Stallmann in einem Kriegsgefangenenlager gestorben sein, weil er sich geweigert haben soll, seine Mannschaften dorthin gehen zu lassen ohne selbst mitzugehen (Information vom 8. März 2017). Außerdem hielt er sporadisch Kontakte zu anderen Wehrmachtsangehörigen.
Oswald Stallmanns Eltern starben bereits 1918 und 1925. Er hatte neun Geschwister, vier Brüder und fünf Schwestern. Eine der Schwestern, Paula (geb. 1902), starb bereits 1916, eine andere, Anna (geb. 1885), 1933, wohl bei der Geburt des vierten Kindes. Mit den meisten seiner Geschwister Wilhelm (Willy) (geb.1883), Karl (geb. 1887), Martha (geb. 1889), Magdalene (Lene) (geb. 1892), Elisabeth (Liesbeth) (geb. 1894), Paul (geb. 1899) und Hans (geb. 1905), mit deren Ehepartnern, auch mit seinen Neffen unterhielt er während des 2. Weltkriegs rege schriftliche Kontakte; seine Neffen Otto, Kurt und Karl-Oswald Koch, den Söhnen von Otto Koch und Anna Stallmann, waren ebenso wir ihr Vater, sämtlich an der Front. Nach dem Tod Anna Stallmanns 1933 übernahm deren Schwester Elisabeth (Liesbeth) die Stelle der Mutter und heiratete schließlich im Rahmen einer Ferntrauung 1940 deren Witwer Otto Koch, der aber bald darauf, am 11. Juli 1941 an der Ostfront starb (vgl. den in einem Brief von Karl-Oswald Koch an seinen Onkel Oswald Stallmann zitierten Brief über den Todesfall an der Front: WN 27, Nr. 20 vom 27. Juli 1941).
In Oswald Stallmanns Nachlass sind die an ihn gerichteten Briefe und Postkarten erhalten, die er, wenn er auf Heimaturlaub war, selbst mit nach Minden brachte oder per Feldpost nach Minden schickte (vgl. WN 27, Nr. 5 vom 25. Okt. 1939). Das eine oder andere Päckchen wird auf dem Weg von der Front nach Minden abhanden gekommen sein, das zeigen die Lücken in den Briefserien, die nicht allein durch Fronturlaub bedingt sein können. Und es konnte auch geschehen, dass Briefe im Graben an der Front verloren wurden (so ist es beispielsweise in einem Brief von Martha Stallmann an Oswald Stallmann zu lesen, die ihm mitteilt, dass ein anderer Soldat die von Oswald Stallmann angesichts seiner Verwundung in einem Unterstand zurückgelassenen Briefe gefunden, an sich genommen und nach Minden geschickt hat: WN 27, Nr. 57 zum 14. Juli 1917).
Der Nachlass bietet tiefe Einblicke in das Denken und Leben einer nationalsozialistisch und gleichzeitig protestantisch orientierten Familie zur Zeit des Zweiten Weltkriegs. In den Briefen zeigt sich die Mangelwirtschaft der damaligen Zeit mit unterschiedlichsten Versorgungsengpässen (Nahrung, Kleidung, Kohlen, Bücher, Tabak, ...). Er zeigt den auch an Minden nicht spurlos vorübergegangenen Schrecken der Bombennächte, bei denen aber kein Mitglied der Familie Stallmann umgekommen ist (die Osnabrücker Wohnungen von Oswald Stallmann und seiner Schwester Elisabeth Koch jedoch wurden teilweise zerstört). Und er zeigt die heute erschreckend anmutende Gleichgültigkeit der Zeitgenossen angesichts des mehr und mehr um sich greifenden, durch den Krieg bedingten Leids, das kein Mitleid erzeugt, sondern schnell abgeschüttelt wird, um abrupt wieder zur Tagesordnung überzugehen. Die damals fast die ganze Gesellschaft erfassende Mentalität, einen 'gerechten' Krieg zu führen, das Ende des Krieges zu ersehnen (aber nur ein siegreiches Kriegsende kam aus damaliger Sicht in Frage), über den Rundfunk propagandistisch verbreiteten Durchhalteparolen zu glauben, wird in diesem Nachlass sichtbar.
Auch aus dem Ersten Weltkrieg haben sich Briefe und Postkarten an Oswald Stallmann erhalten. Überliefert sind auch Fotografien zur Familie Stallmann.
Ein wichtiges, weil in einem Briefnachlass eher seltenes Zeugnis sind die Briefe, die Oswald Stallmann selbst geschrieben hat. Sie zeigen seine Einstellung zum Nationalsozialismus und zum Krieg (vgl. WN 27, Nr. 41). Indirekt kommt diese auch in den Briefen zum Ausdruck, die Elisabeth und Hanna Schmidt (Lübeck / Goslar) an ihn schreiben (vgl. WN 27, Nr. 38 u. 39).
Eine auszugsweise Transkription zu den Archivalieneinheiten befindet sich unter WN 27, Nr. 81. Materialien (Stammtafel mit biografischen Daten, Standesamtsurkunden etc.) zur Familie Stallmann sind unter WN 27, Nr. 82, abgelegt.
- Bestandssignatur
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Stadt Minden WN 27 Nachlass Oswald Stallmann
- Kontext
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Kommunalarchiv Minden (Archivtektonik)
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- Letzte Aktualisierung
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05.11.2025, 13:59 MEZ
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Objekttyp
- Bestand