Bestand

Einrichtungen des Kriegsgefangenenwesens des Heeres (Bestand)

Geschichte des Bestandsbildners: Auf Weisung des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW) wurden nach Kriegsbeginn im September 1939 unter Führung des Allgemeinen Wehrmachtamtes (AWA) und des Befehlshabers des Ersatzheeres und Chefs der Heeresrüstung (BdE/ChHRüst) bei allen 17 Wehrkreiskommandos im Reichsgebiet je ein "Kommandeur der Kriegsgefangenen" als vorgesetzte Dienststelle für die in den Wehrkreisen einzurichtenden Kriegsgefangenenlager aufgestellt. Innerhalb des AWA war die "Abteilung Kriegsgefangenenwesen" für die Angelegenheiten der Kriegsgefangenen zuständig (siehe RW 6). Ab 1942 führte sie als Amtsgruppe die Bezeichnung "Chef des Kriegsgefangenenwesens". Die Gliederung OKW/Chef Kriegsgefangenenwesen (Stand 1. März 1943) kann der Anlage 1 entnommen werden. Auf Weisung Hitlers wurde Ende Juni 1943 zudem unmittelbar unter dem Chef des OKW ein "Generalinspekteur für das Kriegsgefangenenwesen der Wehrmacht" eingesetzt.

Schließlich erfolgte nach Ernennung des Reichsführers SS zum Befehlshaber des Ersatzheeres und Chef der Heeresrüstung nach dem Attentat Stauffenbergs aus Hitler im Juli 1944 am 25. September 1944 die Zuweisung von Aufsicht und Kontrolle über das Kriegsgefangenenwesen an Heinrich Himmler. Dieser ernannte den Chef des SS-Hauptamtes, SS-Obergruppenführer Gottlob Berger, zum Chef des Kriegsgefangenenwesens, der diese Dienststellung bis zur Kapitulation der Wehrmacht einnahm. Unter dem Einfluss der SS wurden alle Kommandeure der Kriegsgefangenen den Höheren SS- und Polizeiführern unterstellt und dadurch der Befehlsgewalt der Wehrkreisbefehlshaber entzogen.

Die Lager wurden anfangs mit der römischen Ziffer des Wehrkreises und einem Kennbuchstaben nach zeitlicher Abfolge ihres Aufbaus bezeichnet; später wurden noch arabische Ziffern zugeordnet, wenn die Lager als unmittelbare Sammelstellen für bestimmte Abgaben von Frontteilen fungierten (siehe dazu Anlage 2: Liste der Kriegsgefangeneneinrichtungen). Dabei richtete man Interniertenlager (Iflag), Durchgangslager (Dulag), Offizierskriegsgefangenenlager (Oflag) für jeweils ca. 1 000 Offiziere und Mannschaftsstammlager (Stalag) für jeweils ca. 10 000 Gefangene ein. Ferner sind vergleichbare Kriegsgefangenenlager im Bereich des Oberkommandos der Luftwaffe (z. B. Dulag Luft und Stalag Luft) und des Oberkommandos der Kriegsmarine (z. B. Marine Dulag, Marlag und Milag = Internierungslager für Kriegsgefangene der Handelsmarine) für gefangengenommene Soldaten dieser Teilstreitkräfte eingerichtet worden. Ebenso wurden ab 1941 bei den Wehrmachtbefehlshabern "Ostland" und "Ukraine" in den im Krieg gegen die UdSSR eroberten westlichen Gebieten der Sowjetunion Frontstammlager (Frontstalag), wie sie schon zuvor in Frankreich aufgestellt worden waren, eingerichtet. Sie waren nur mit arabischen Zahlen gekennzeichnet und wurden kurz darauf in Dulags umbenannt; sie nahmen Soldaten aller Dienstgrade auf. Im Bereich unmittelbar hinter der Frontlinie wurden unter Führung der rückwärtigen Armee- und Heeresgebiete Kriegsgefangenen-Auffanglager und Armeekriegsgefangenensammelstellen (AGSSt) eingerichtet; sie dienten als erste Sammelplätze für die im Kampf eingebrachten Kriegsgefangenen. Vorgesetzte Koordinierungsstelle für diese Kriegsgefangenenlager war der jeweilige Kommandant des Kriegsgefangenenbezirks (siehe dazu Anlage 3: Übersicht über die Kriegsgefangeneneinrichtungen der Wehrmacht).

Kriegsgefangene Soldaten und Unteroffiziere konnten nach den Genfer Bestimmungen zur Arbeit herangezogen werden. Aus ideologisch-politischen Vorstellungen sollte nach Beginn des Ostkrieges jedoch kein Arbeitseinsatz sowjetischer Kriegsgefangenen erfolgen. Grundsätzlich sollten sie aufgrund ausdrücklicher Befehle des OKW, die schon vor Kriegsbeginn am 16. Juni 1941 verfügt worden waren, unter äußerst schlechten Verhältnissen gehalten werden und nur die notwendigste Verpflegung erhalten. Erst ab Herbst 1941 wurden von verschiedenen Konzernen und Wirtschaftsdienststellen Forderungen nach einem Arbeitseinsatz der sowjetischen Kriegsgefangenen erhoben, und dieser dann auch für einzelne Wirtschaftszweige des Reiches zugestanden. Nach der Niederlage des deutschen Ostheeres vor Moskau im Dezember 1941 wurden die sowjetischen Kriegsgefangenen als Arbeitskräfte verstärkt auch in anderen Industriezweigen, wie z. B. in der Rüstungsbetrieben, eingesetzt.

Inhaltliche Charakterisierung: Nach den bei Kriegsbeginn für die Wehrmacht und das Heer gültigen Bestimmungen für die Führung von "Kriegstagebüchern" vom 27. August 1938 hatten auch die Kommandeure der Kriegsgefangenen in den Wehrkreiskommandos eine fortlaufende Darstellung der Ereignisse in den Kriegstagebüchern zu geben. Sie waren nach Abschluss des jeweiligen Einzelbandes über die vorgesetzten Kommandobehörden an das Heeresarchiv in Potsdam abzugeben. Man kann davon ausgehen, dass bis zum Kriegsende 1945 eine Reihe von Kriegstagebüchern mit wertvollen Anlagen (z. B. Meldungen, Befehle, Kriegsgliederungen) und Kriegakten der Wehrkreiskommandeure der Kriegsgefangenen in das Heeresarchiv Potsdam gelangten. Vermutlich sind diese Bestände jedoch zusammen mit anderen Quellen des Heeresarchivs Potsdam bei dem schweren britischen Luftangriff noch am 14. April 1945 größtenteils vernichtet worden oder sie wurden zusammen mit anderen Kriegstagebüchern und Akten beim Bahn-Transport von Potsdam nach Bad Reichenhall/Berchtesgaden auf Befehl des seit 1. Juli 1942 eingesetzten "Beauftragten des Führers für die militärische Geschichtsschreibung", Generalmajor Walter Scherff, von deutschen Stellen selbst verbrannt. Bei den Registraturen der Kriegsgefangeneneinrichtungen, die keine Unterlagen an das Heeresarchiv abzugeben hatten, muss ebenfalls von befehlsgemäßer Vernichtung ausgegangen werden. Durch diese Verluste sind große, nicht mehr zu schließende Lücken in die militärische Überlieferung der Kriegsgefangeneneinrichtungen und -nachweisung entstanden, so dass die Aufarbeitung des Schicksals der Gefangenen heute zum Teil nur schwer, mitunter auch gar nicht mehr erfolgen kann und umfassende Aussagen zu einzelnen Lagern oder die Beleuchtung bestimmter Aspekte überhaupt nicht mehr möglich sind.

Das Bundesarchiv-Militärarchiv verwahrt im Bestand RH 49 überlieferte Schriftgutreste von einigen im Reichsgebiet befindlichen Mannschaftsstamm-, Durchgangs- und Offizierslagern (Stalag, Dulag und Oflag) sowie von Bau- und Arbeitsbataillonen. Der gesamte Bestand besteht jedoch nur aus 160 Archivalieneinheiten. In der Regel sind von den Lagern nur wenige Dokumente erhalten geblieben, in nennenswertem Umfang sind nur vom Stalag III A (Luckenwalde), IV B (Mühlberg), VII A (Moosburg), IX C (Bad Sulza), XII F (Forbach) und XIII A (Sulzbach-Rosenberg) erhalten geblieben, zu den Stalag in den Wehrkreisen I. II, V, XX, XXI liegt im Bundesarchiv so gut wie nichts vor. Dies trifft leider auch auf die Stalag mit arabischen Ziffern (Ausnahme: Stalag 326 Senne/Forellkrug), Oflag (Ausnahme: 64 Altburgund), Dulag (Ausnahme: 127 Heeresgruppe Mitte/Orscha) zu.

Weiterhin befinden sich im Militärarchiv 33 Rollfilme (Signaturen FC-3509-P bis FC-3541-P) aus US-Beständen mit etwa 38.000 aufgenommenen Seiten, dies entspricht in etwa der auch in Papierform überlieferten Aktenmenge von 160 Akten.

Vom Chef für das Kriegsgefangenenwesen sind ca. 20 Archivalien erhalten geblieben, die wegen der organisatorischen Unterstellung dem Allgemeinen Wehrmachtamt (siehe RW 6) zugeordnet wurden. Als besonders erwähnenswerte Unterlagen in dieser Überlieferung dürften sich diverse Grundsatzdokumente sowie die nach Nationalitäten geordneten Belegungsübersichten aller Kriegsgefangenenlager im damaligen Reich sowie den im Osten befindlichen Lagern auszeichnen.

Einige wenige Angaben lassen sich auch auf Wehrkreisebene bei den Kommandeuren der Kriegsgefangenen finden, doch sind auch deren Überlieferungen mehr als lückenhaft. Allein vom Kommandeur der Kriegsgefangenen des Wehrkreises XVII (Wien) und aus dem Generalgouvernement ist ein größerer Aktenbestand (17 und 7 Archivalieneinheiten) erhalten geblieben, der für seinen Zuständigkeitsbereich u.a. die Registrierung und den Arbeitseinsatz von Kriegsgefangenen beschreibt, organisatorische und grundsätzliche Angelegenheiten behandelt und zahlreiche Fluchtmeldungen enthält. Die 11 Akten und 3 Filme mit Hand- und Schriftwechsel-Unterlagen des Kontrolloffiziers Nauendorf (Saalkreis) geben Einsicht in den Arbeitseinsatz von Kriegsgefangenen im Bereich des Wehrkreises IV.

Die Bestände mit Bezug auf die Kommandeure bzw. Befehlshaber der rückwärtigen Armee- und Heeresgebiete (RH 22, RH 23) thematisieren ebenfalls das Kriegsgefangenenwesen und geben mitunter einen anschaulichen Einblick in die zum Teil katastrophalen Zustände in einzelnen Lagern, verschiedene Daten lassen sich auch in den Kriegstagebüchern und Tätigkeitsberichten der Quartiermeisterabteilung der Armeeoberkommandos (Bestandsreihe RH 20 und 21) und in Ausnahmefällen sogar auf Divisionsebene (Bestandsreihen RH 26 bis RH 28) finden, obwohl Truppenverbände die Kriegsgefangenen nur vorübergehend aufnahmen und alsbald in sogenannte Armeegefangenensammelstellen, Front- und Durchgangslager weiterleiteten. Bedauerlicherweise nur angerissen wird die Werbung sogenannter Hiwis ("Hilfswillige"), die - aus propagandistischen Erwägungen eher geheimgehalten und verschleiert als publik gemacht wurde - dennoch in großer Zahl (ca. 1 Million) und deutscher Uniform in Wehrmachtseinheiten oder als Freiwillige in regionalen Ordnungspolizei- und Schutzmannschaftseinheiten sowie bei den "Osttruppen" und Legionen der Wehrmacht und Waffen-SS Dienst taten.

Allgemeingültige Regelungen zu Organisation, Umgang, Verhalten und Behandlung sowie zur Versorgung der Kriegsgefangenen umfassen die Heeresverordnungsblätter- und Heeresmitteilungen-Sammlung (u.a. RHD 1 und 2) sowie die Sammlung der planmäßigen Druckvorschriften (RHD 4, HDv 38, HDv 319).

In Ausnahmefällen können Nachlässe, wie z.B. von Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel (N 54) und General der Infanterie Hermann Reinecke (N 356) oder die Militärgeschichtlichen Sammlungen (z.B. MSg 200: Elsa-Brändström-Gedächtnis-Archiv) Hinweise zur Geschichte des Kriegsgefangenenwesens oder Angaben zu bestimmten Ereignissen bieten.

Der Einsatz bzw. die Verwendung der Kriegsgefangenen in Kriegswirtschaft, Rüstungsproduktion, Landwirtschaft usw. wird weitgehend in den Kriegstagebüchern der jeweiligen Rüstungsdienststellen dokumentiert; diese sind in der Regel bis Mitte/Ende 1944 vorhanden (siehe RW 19, RW 46, RW 20, RW 21, RW 24 bis RW 32). In diesen Beständen sind neben der Behandlung und Entlohnung sowie dem eigentlichen Arbeitseinsatz und den damit zusammenhängenden rüstungswirtschaftlichen Aspekten auch Fakten zum Gesundheitszustand, zur Ernährungssituation und Sterblichkeit zu ermitteln. Die Kriegsgefangenen wurden zur Arbeit in der Kriegswirtschaft und Rüstungsproduktion im damaligen Reich in zahlreichen Zweig- und Arbeitslagern mit diversen Arbeitskommandos herangezogen. Wegen der lückenhaften oder in Gänze fehlenden Überlieferungen ist es heute leider kaum möglich, einen vollständigen Nachweis über die Zahl der Außenstellen und Arbeitslager einzelner Kriegsgefangeneneinrichtungen zu erbringen. Die in der Anlage 2 befindliche Auflistung beinhaltet einige Zweiglager.

Hinweise zum Kriegsgefangenenwesen finden sich auch in den Beständen des OKW/Wehrmachtführungsstabes (RW 4) oder der Heeressanitätsinspektion (RH 12-23, z. B. Obduktionsberichte vom Pathologischen Institut der Militärärztlichen Akademie).

Die flächenmäßige Erweiterung von Kriegsgefangeneneinrichtungen (z.B. VI B und C) spiegelt sich in den Beständen Reichsstelle für Landbeschaffung (RW 43) und Reichsumsiedlungsgesellschaft (RW 52) wieder.

Material zum Thema Kriegsgefangenenwesen ist neben den regionalen Archiven auch in ministeriellen Beständen sowie in den erhalten gebliebenen Unterlagen der zentralen Ämter der SS zu finden, die von der Abteilung R des Bundesarchivs in Berlin und dem Zwischenarchiv Dahlwitz-Hoppegarten verwahrt werden (siehe z. B. R 41, R 58). In der Bildstelle des Bundesarchivs befindet sich unter der Signatur Bild MA 14-4 einiges fotografisches Material zum Kriegsgefangenenwesen.

Personenbezogene Unterlagen über das Kriegsgefangenenwesen wurden seinerzeit von der Wehrmachtauskunftstelle für Kriegsverluste und Kriegsgefangene (WASt) in Berlin verwahrt. Gemäß Genfer Konvention von 1929 mussten diese personenbezogene Unterlagen nach Kriegsende an die jeweiligen Herkunftsländer der Kriegsgefangenen übergeben werden. Die Wast lagerte im August 1943 einen großen Teil ihrer Bestände nach Thüringen aus. Im April 1945 brachte man das nach Nationen geordnete Material des Referats "Fremdländische Kriegsgefangene" in der Drachenbergkaserne in Meiningen unter, dort wurde es von den einrückenden US-Truppen erbeutet. Nach Besichtigung durch eine Kommission alliierter Offiziere wurden die Unterlagen über westalliierte Kriegsgefangene in Kisten verpackt und Ende Mai 1945 von US-Stellen abtransportiert. Danach wechselte vereinbarungsgemäß die Besatzungsmacht in Thüringen, sowjetische Truppen zogen am 5. Juli 1945 in Meiningen ein. Das sehr umfangreiche Schriftgut über sowjetische Kriegsgefangene wurde in 377 Kisten verpackt und Mitte August 1945 in die UdSSR gebracht. Es befindet sich heute in Podolsk (westlich von Moskau) im Militärarchiv des russischen Generalstabes.

Zum Teil befinden sich von den Alliierten erbeutete Sachakten einzelner Kriegsgefangenenlager auch noch in deren Archiven. So befinden sich beispielsweise im Staatsarchiv Moskau 41 Akteneinheiten des Mannschaftsstammlagers Stalag 326 (VI K) Stukenbrock und im Militärarchiv in Prag liegen Primärquellen einiger im ehemaligen Wehrkreis VIII Breslau gelegenen Kriegsgefangenenlager.

Erschließungszustand: Die Akten sind vollständig in der Datenbank erfasst.

Zitierweise: BArch RH 49/...

Bestandssignatur
Bundesarchiv, BArch RH 49
Umfang
242 Aufbewahrungseinheiten; 3,1 laufende Meter
Sprache der Unterlagen
deutsch

Kontext
Bundesarchiv (Archivtektonik) >> Norddeutscher Bund und Deutsches Reich (1867/1871-1945) >> Militär >> Reichswehr und Wehrmacht 1919 bis 1945/1946 >> Reichsheer und Heer >> Kommandobehörden, Verbände und Einheiten >> Weitere Einheiten

Bestandslaufzeit
1939 - 1945
Provenienz
Einrichtungen des Kriegsgefangenenwesens, 1939-1945

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Letzte Aktualisierung
16.01.2024, 08:43 MEZ

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Objekttyp

  • Bestand

Beteiligte

  • Einrichtungen des Kriegsgefangenenwesens, 1939-1945

Entstanden

  • 1939 - 1945

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