Bestand
Ritterkanton Kocher (Bestand)
Überlieferungsgeschichte
Kanzlei und Archiv des Ritterkantons Kocher
befanden sich seit 1605 in Esslingen. Nach der Mediatisierung
(1805/1806) fielen die reichsritterschaftlichen Gebiete an
Württemberg und teilweise an Baden. Die Hauptüberlieferung des
Archivs liegt heute in den Beständen B 575 - B 577 des
Staatsarchivs Ludwigsburg. Im Rahmen eines Archivalienaustauschs
wurden in den 1870er Jahren die Baden betreffenden Akten des
Ritterkantons nach Karlsruhe abgegeben. Wahrscheinlich ordnete
Hermann Baier bei einer ersten summarischen Erschließung, die 1920
abgeschlossen war, zahlreiche familien- und ortsbezogene Urkunden
und Akten dieses Archivguts den Beständen 44, 72 und 229 zu. Die
Überlieferung wird ferner durch die Nachlässe der Freiherren
Philipp Wilhelm und Philipp Friedrich Adam von Racknitz ergänzt,
die beide in der Zeit von 1714-1744 und 1764-1775 Ämter im
Ritterkanton Kocher innehatten (vgl. Bestand 69 v. Racknitz,
Ritterhauptmann).
Zur Geschichte des
Ritterkantons Kocher: Der Ritterkanton Kocher umfasste in seiner
räumlichen Ausdehnung die Besitzungen der immatrikulierten Familien
und deren Herrschaften vor allem rechts des Neckars zwischen
Plochingen und Heilbronn. Im Norden stieß er an die Markgrafschaft
Ansbach- Viele der Besitzungen lagen zwischen Göppingen und den
reichsstädtischen Territorien der Städte Schwäbisch Gmünd, Ulm und
Aalen. Im Süden bildeten Württemberg, die Herrschaft Wiesensteig,
die Reichsstadt Ulm und Pfalz-Neuburg die Grenze. Nach der
Bewilligung der Türkenhilfe durch die Schwäbische Ritterschaft für
König Ferdinand im Jahr 1529 bildete sich noch im gleichen Jahr ein
aus drei Mitgliedern bestehender Ausschuss im Viertel am Kocher,
der die Bekanntmachung, Erhebung und Weiterleitung der Steuern bei
den Viertelsverwandten organisierte. Dieses 1529 zum ersten Mal
zusammenkommende Gremium war der Keim, aus dem sich die
administrativen Organe des Kantons Kocher entwickelten. Bis 1560
verfestigte sich die Organisationsstruktur der Reichsritterschaft
soweit, dass zur Wahrung und Durchsetzung der ritterschaftlichen
Interessen ein in wechselnder Zusammensetzung gebildeter Ausschuss
bei Verhandlungen der Schwäbischen Ritterschaft teilnahm. Die im
Jahr 1560 von der Ritterschaft in Schwaben angenommene und ein Jahr
später durch Kaiser Ferdinand I. bestätigte Ritterordnung
institutionalisierte die Ausschüsse und bestimmte ihre Funktionen
und Aufgaben. Diese Korporationsverfassung gewährte den Organen der
Ritterkantone das Recht, Rittertage abzuhalten, Steuerrecht und
Militärhoheit auszuüben und Rechte der adligen Mitglieder nach
außen wahrzunehmen. Sie konnten in erster Instanz über
Streitigkeiten zwischen Mitgliedern des Kantons entscheiden und
Urteile vollstrecken. Die Ritterdirektorien erhielten wichtige
Aufgaben im Bereich der Erhaltung des Landfriedens, der
öffentlichen Sicherheit sowie des Münz-, Gewerbe- und Postwesens.
Einen bedeutenden Platz nahm auch die Aufsicht über das
standesgemäße Verhalten der Mitgliedsfamilien ein. Die
Ritterordnung blieb Grundlage der ritterschaftlichen Verfassung bis
zum Ende der Reichsritterschaft im Jahr 1805. Aus dem Ausschuss,
der sich aus zwei bis vier ritterschaftlichen Mitgliedern
zusammensetzte, entwickelte sich bis Mitte des 17. Jahrhunderts das
Direktorium, dem ein Direktor und zwei bis drei Räte angehörten.
Die ritterschaftliche Kanzlei war bis zum Beginn des 17.
Jahrhunderts nicht an einem bestimmten Ort ansässig, erst 1605 nahm
die Ritterkanzlei des Kantons Kocher in der Reichsstadt Esslingen
ihren ständigen Sitz, wo sie dann bis zum Ende des Alten Reichs
verblieb. Bei der Ritterkanzlei waren seit Mitte des 17.
Jahrhunderts bis zu vier juristisch gebildete Konsulenten
beschäftigt, die die Rechtsgeschäfte des Kantons zu bearbeiten
hatten. Die bürokratischen und buchhalterischen Tätigkeiten wurden
von den Sekretären, Registratoren bzw. Archivaren und Kassierern
ausgeübt. Sie unterstanden der Aufsicht " und Weisungen des Leiters
der Ritterkanzlei, dem Syndikus. Die Konsulenten hatten
administrative Aufgaben aber auch politische Funktionen zu
erfüllen, sie halfen mit Rat dem Direktorium bei der
Entscheidungsfindung. Daneben hatten sie auch die Pflicht, den
Mitgliedern des Kantons nach Aufforderung in Privatangelegenheiten
beizustehen. Bestellt wurde das Personal der Ritterkanzlei
ausschließlich durch das Direktorium. Bis Mitte des 18.
Jahrhunderts waren bei der Kanzlei in der Regel nur Personen
angestellt, die auch Ämter in der Verwaltung der Reichsstadt
Esslingen innehatten oder aufgrund von familiären Verbindungen in
Aussicht hatten. Dieses Verfahren begründete auch ein gedeihliches
Auskommen zwischen Reichsstadt und Ritterkanton.
Zur Geschichte des Bestandes:
Der Bestand 124 (Ritterkanton Kocher) gelangte erst in den 1870er
Jahren in das Generallandesarchiv nach Karlsruhe, wie ein
Verzeichnis ausweist, das wohl im Staatsarchiv in Stuttgart
gefertigt wurde. Die von Württemberg an Baden abgegebenen Akten des
ehemals in Esslingen ansässigen Direktoriums und der Ritterkanzlei
des 1805 aufgelösten Ritterkantons Kocher umfasst Archivalien, die
im Sinne des Pertinenzprinzips Orte betreffen, die zu Beginn des
19. Jahrhunderts an das Großherzogtum Baden fielen, oder
ritterschaftliche Familien, die in Baden ansässig waren. Im
Gegensatz zu älteren württembergischen Archivalienabgaben wurden
die einzelne Orte oder Familien betreffenden Akten nicht auf
bereits vorhandene Pertinenzbestände (vor allem die Bestände 229
und 72) verteilt, sondern wurden als kleiner Teilprovenienzbestand,
im Umfang von ca. 1,8 m, zusammengelassen. Verzeichnet wurde der
Bestand zuerst von Dr. Hermann Baier um 1920, zu Beginn seiner
Tätigkeit im Generallandesarchiv. Das von ihm gefertigte
Zettelrepertorium war bisher das alleinige Findmittel des
Bestandes. Die Titelaufnahme geschah z.T. recht summarisch und
erfolgte nach den im Generallandesarchiv geltenden Prinzipien der
Unterteilung in Generalia und Spezialia sowie der Zuweisung der
Inhalte der einzelnen Faszikel unter die Brauer'schen Rubriken. Bei
der jetzigen Verzeichnung wurde die Aufteilung und Nummerierung des
Bestandes beibehalten, die Rubrikenzuweisung wurde in einzelnen
Fällen, nach genauer Durchsicht der Aktenhefte, verändert. Die in
diesem Bestand vereinigten Archivalien stellen nur einen kleinen
Ausschnitt der reichsritterschaftlichen Überlieferung des Kantons
Kocher dar, weitere zahlreiche Archivalien dieser Provenienz werden
im Bestand 69 Racknitz des Generallandesarchivs verwahrt. Dabei
handelt es sich um Archivalien, die aus dem Familienarchiv der v.
Racknitz stammen und dorthin durch den Ritterhauptmann des Kantons
Kocher Philipp Adam v. Racknitz in der zweiten Hälfte des 18.
Jahrhunderts gelangten. Die Hauptüberlieferung wird aber im
Staatsarchiv Ludwigsburg in den Beständen B 575- B 577 verwahrt.
Inhaltlich sind im Bestand 124 Archivalien zusammengefasst, die vor
allem einzelne Adelsfamilien wie die Ebinger von der Burg, Göler
von Ravensburg, von Helmstatt, von Mentzingen und von Venningen
betreffen. Dabei handelt es sich in der Regel um Korrespondenzen
zwischen der Verwaltung des Ritterkantons und den Familien. Einen
zweiten Schwerpunkt bilden Akten zu badischen Orten, die im Besitz
von ritterschaftlicher Familien waren. Ein großer Teil dieser
Spezialia bezieht sich auf die Auseinandersetzungen zwischen der
Familie v. Mentzingen mit ihren Untertanen zu Gondelsheim. Die
Laufzeit der Akten umfasst den Zeitraum vom 16. bis 18.
Jahrhundert, der größte Teil entstand im 18. Jahrhundert. Zur
besseren Erschließung des Bestandes wurde dem Verzeichnis ein
Personen- und Ortsindex beigefügt. Verzeichnet und indiziert wurde
der Bestand im Frühjahr 1990 mit Hilfe des von der
Landesarchivdirektion Baden-Württemberg zur Verfügung gestellten
EDV-Programm MIDOSA.
Literatur: Günter Cordes,
Bestände baden-württembergischer Staatsarchive zur Geschichte der
Reichsritterschaft in den Kantonen Kocher, Odenwald und Kraichgau,
in: AZ 68 (1972) S. 86-87. Thomas Schulz, Der Kanton Kocher der
Schwäbischen Reichsritterschaft 1524-1805. Entstehung, Geschichte,
Verfassung und Mitgliederstruktur eines korporativen Adelsverbandes
im System des alten Reiches.(=Esslinger Studien Bd. 7) Esslinger
Stadtarchiv 1986). Gert Kollmer, Die schwäbische Reichsritterschaft
zwischen westfälischem Frieden und Reichsdeputationshauptschluss.
Untersuchung zur wirtschaftlichen und sozialen Lage der
Reichsritterschaft in den Ritterkantonen Neckar-Schwarzwald und
Kocher (=Schr. z. südwestdeutschen Landeskunde, Bd. 17) Stuttgart
1979 .
- Bestandssignatur
-
Abt. Generallandesarchiv Karlsruhe, 124
- Umfang
-
64 Akten
- Kontext
-
Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Generallandesarchiv Karlsruhe (Archivtektonik) >> Ältere Bestände (vornehmlich aus der Zeit des Alten Reichs) >> Akten >> Ritterschaftliche Archive >> Kocher
- Verwandte Bestände und Literatur
-
Rainer Brüning/Gabriele Wüst (Bearb.), Die Bestände des Generallandesarchivs Karlsruhe, Teil 6, Bestände des Alten Reiches, insbesondere Generalakten (71-228), Stuttgart 2006, S.244-245
- Bestandslaufzeit
-
1492-1799
- Weitere Objektseiten
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- Letzte Aktualisierung
-
03.04.2025, 11:03 MESZ
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Objekttyp
- Bestand
Entstanden
- 1492-1799