Bestand
Reichssippenamt (Bestand)
Geschichte des Bestandsbildners:
Organisation
Beginnend mit dem Inkrafttreten des
Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933
wurden im Dritten Reich durch eine Reihe von Rechtsverordnungen die
Einstellung in den Staatsdienst und die staatliche Approbation von dem
Nachweis der "arischen" Abstammung abhängig gemacht. Zur Begutachtung und
Ergänzung der Nachweise musste eine zentrale staatliche Stelle geschaffen
werden.
Am 18. April 1933 wurde die Stelle des
Sachverständigen für Rasseforschung beim Reichsministerium des Innern
eingerichtet. Als Sachverständiger für Rasseforschung wurde der bisherige
Leiter der NS-Auskunft bei der Reichsleitung der NSDAP, Dr. Achim Gercke,
bestellt (vgl. Ministerialblatt für die Preußische innere Verwaltung
1933, S. 359). Seit dem 15. Oktober 1934 befand sich auch die Leitung des
neu gegründeten Amtes für Sippenforschung der NSDAP, das aus der
NS-Auskunft bei der Reichsleitung der NSDAP hervorgegangen war, in der
Hand des Sachverständigen für Rasseforschung.
Die
Dienststelle des Sachverständigen für Rasseforschung wurde am 5. März
1935 in Reichsstelle für Sippenforschung (RfS) umbenannt und blieb
weiterhin der Dienstaufsicht des Geschäftsbereichs der Abt. I des
Reichsministeriums des Innern unterstellt. Anstelle des zurückgetretenen
Dr. Gercke wurde am 18. März 1935 Dr. Kurt Mayer ernannt. Dr. Mayer war
1933 zum Rasse- und Siedlungshauptamt-SS nach Berlin gekommen und dort
Hauptabteilungschef und Sachbearbeiter für Rassefragen (R 1509/1007). Am
1. April 1935 wurde er auch Reichsamtsleiter des Amtes für
Sippenforschung der NSDAP. Die Ernennung Dr. Mayers zum Direktor der RfS
hatte weitreichende Personalveränderungen zur Folge. Die Dr. Gercke
nahestehenden Personen wurden vorläufig beurlaubt und später aus dem
Dienst entfernt
(R 1509/1007).
Nach dem Geschäftsverteilungsplan der RfS vom 1. Mai 1936 war die
Dienststelle zunächst in 7 Abteilungen gegliedert. Als 8. Abteilung war
das Amt für Sippenforschung der NSDAP angegliedert (R 1509/1008). Kurz
darauf erfolgte eine grundlegende Änderung der Organisation. Die RfS
hatte nach dem Geschäftsverteilungsplan vom 1. Oktober 1936 nur noch 5
Abteilungen (R 1509/1007):
Zentralabteilung:
Personal- und Verwaltungsangelegenheiten
I.
Abteilung: Abstammungsnachweis
II. Abteilung:
Urkundliche Abstammungsprüfung
III. Abteilung:
Schriftdenkmalschutz
IV. Abteilung: Archiv
Dieser Geschäftsverteilungsplan wurde im Wesentlichen
beibehalten. Die einzigen größeren Änderungen, neben der Umbenennung
einzelner Aufgabengebiete, waren die Zusammenlegung der Abteilungen I und
II am 2. Oktober 1939 (R 1509/1020) und die Einrichtung einer Zahlstelle
für die zahlreichen Einnahmen an Gebühren für Gutachten (R
2301/6706).
Mit der Okkupation Österreichs war die
Einrichtung einer Zweigstelle in Wien verbunden. Sie wurde mit Wirkung
vom 1. Juni 1938 beim "Reichskommissar für die Wiedervereinigung
Österreichs mit dem Deutschen Reich" unter Leitung von Dr.
Schultze-Naumburg eingerichtet und nahm im gesamten Gebiet der "Ostmark"
die gleichen Aufgaben wie die Reichsstelle wahr. Alle Grundsatz-,
Personal- und Haushaltsfragen wurden von der Dienststelle in Berlin
entschieden. Die Auflösung der Zweigstelle Wien erfolgte am 31. Mai 1940
aufgrund des Erlasses Adolf Hitlers vom 28. August 1939 über die
"Vereinfachung der Verwaltung".
Die RfS wurde am
12. November 1940 in Reichssippenamt (RSA) umbenannt, ohne dass es zu
wesentlichen Änderungen in der Geschäftsverteilung bzw. zu
Personalveränderungen kam. Leiter des RSA blieb bis Kriegsende Dr.
Mayer.
Aufgaben
Die
ursprüngliche Aufgabe der Dienststelle war die Prüfung von
Abstammungsnachweisen auf Antrag von Behörden und Parteidienststellen. Es
wurden aber auch auf Antrag von Privatpersonen Bescheinigungen über die
rassische Einordnung ausgestellt. Die Nachprüfung geschah in der Regel
aufgrund der vorgelegten Urkunden und Dokumente. Falls nach Abschluss der
Abstammungsprüfung noch Zweifel an der Abstammung bestanden, konnte von
der RfS bzw. dem RSA eine erb- und rassenkundliche Untersuchung bei einem
anthropologischen Institut veranlasst werden (Ministerialblatt des
Reichs- und Preußischen Ministeriums des Innern 1937, S. 1425). Die
Entscheidungen der RfS hießen zunächst "Gutachten". Mit dem Runderlass
des Reichs- und Preußischen Ministers des Innern vom 21. September 1936
wurde die Bezeichnung "Abstammungsbescheid" festgelegt (Ministerialblatt
des Reichs- und Preußischen Ministeriums des Innern 1936, S. 1276).
Abstammungsbescheide galten als vollgültige Abstammungsnachweise. Sie
konnten aufgrund von ermittelten Urkunden aufgehoben oder geändert
werden. Gegen einen Abstammungsbescheid war eine
Dienstaufsichtsbeschwerde beim Reichsminister des Innern möglich. Durch
Aufhebung zahlreicher negativer Abstammungsbescheide durch das
Reichsministerium des Innern kam es zu Divergenzen zwischen der RfS und
dem vorgesetzten Ministerium (R 1509/1021). Wegen der starken Überlastung
der RfS verfügte der Reichs- und Preußische Minister des Innern in einem
Runderlass vom 6. Juli 1936, dass von der RfS nur dann ein Gutachten
einzuholen sei, wenn nach Ausschöpfung aller Prüfungsmöglichkeiten noch
immer begründete Zweifel an der Abstammung beständen. Notwendige
Gutachten bei Einbürgerungsverfahren sollten etwa nur dann angefordert
werden, wenn eine Weiterverfolgung des Antrags überhaupt in Frage kam
(Ministerialblatt des Reichs- und Preußischen Ministeriums des Innern
936, S. 951).
Neben der Abstammungsprüfung
gehörten nach einer Aufstellung vom Oktober 1940 noch folgende Aufgaben
in die Zuständigkeit der Behörde (R 1509/1011):
·
Sippenkundlicher Schriftdenkmalschutz:
Dazu
gehörte die Erfassung und Sicherstellung aller für die Familienforschung
wichtigen Quellen. Besonderer Wert wurde dabei auf die Kirchenbücher
gelegt, deren Verfilmung und Verkartung entweder von
der Dienststelle selbst durchgeführt oder von ihr unterstützt
wurden. Der RfS bzw. dem RSA wurden Filme der aufgenommenen Kirchenbücher
zur Verfügung gestellt, die zunächst im Filmarchiv der
Dienststelle (Berlin, Oranienburger Str. 28) eingelagert und 1943/44
in den Berlepsch-Schacht des Kalibergwerks bei Staßfurt ausgelagert
wurden (R 1509/1596).
· Förderung der "deutschen
Sippenkunde" und Zusammenarbeit mit dem Reichs-verband der Sippenforscher
und Heraldiker;
· Verwaltung und Aufbewahrung
jüdischer sippenkundlicher Quellen:
· Die
Dienststellen der Sicherheitspolizei und des SD, die staatlichen
Dienststellen und die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland wurden
angewiesen, jüdische Personenstandsregister und Archivalien,
· die sich in ihrem Besitz befanden, an die RfS bzw. das
RSA bzw. die dem RSA unterstellte Zentralstelle für jüdische
Personenstandsregister zur Auswertung und Aufbewahrung zu übergeben. Mit
der
· Einziehung und Auswertung der jüdischen
Register konnte das RSA auch Gausippenämter beauftragen.
· Führung der amtlichen Juden- und
Mischlingskartei;
· Vorbereitung der staatlichen
Sippenamtsverwaltung sowie Aufsicht über die Sippenkanzleien und die
zumeist erst Anfang der 40er Jahre errichteten staatlichen Gau- bzw.
Landessippenämter.
Die Diensträume der RfS
befanden sich ursprünglich in Berlin NW 7, Schiffbauerdamm 26. Spätestens
ab August 1943 waren Teile der Dienststelle auch im Archivgebäude des RSA
in Berlin N 4, Oranienburger Str. 28, untergebracht. Auslagerungsstellen
für Unterlagen und Filme des RSA waren Stollen des Salzbergwerks Staßfurt
und das Schloss Rathsfeld (R 1509/1046; 1611a).
Bestandsbeschreibung:
Bestandsgeschichte
Das Schicksal des Bestandes war
bestimmt durch die Folgen des Zweiten Weltkrieges.
Vom Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz wurden im
September 1946 Akten des Reichssippenamtes aus der Jüdischen Synagoge in
Berlin, Oranienburger Straße 28, übernommen. Im Rahmen der
Bestandsabgrenzung mit dem Bundesarchiv wurde 1972 der größte Teil dieser
Akten an dessen Dienststelle in Koblenz übergeben. Es handelte sich dabei
um Unterlagen aus der Abteilung III zum Schriftdenkmalschutz, zur
Förderung der deutschen Sippenkunde, zur Aufsicht über Gau- bzw.
Landessippenämter und Sippenkanzleien sowie um Unterlagen über Personal-
und Verwaltungsangelegenheiten aus der Zentralabteilung. Die Akten wurden
in Koblenz unter der Bestandsignatur R 39 geführt und waren über ein 1983
erstelltes Findbuch zugänglich. Im Koblenzer Teilbestand befanden sich
auch die von der Firma Gatermann, Duisburg-Hamborn, in den letzten
Kriegsmonaten in der Ausweichstelle Schloss Rathsfeld am Kyffhäuser
aufgenommenen und bei Kriegsende von ihr geretteten Filme jüdischer
Matrikel aus Orten auf dem Gebiet der späteren DDR und den vormals
deutschen Gebieten östlich der Oder und Neiße, die 1958 vom
Personenstandsarchiv in Brühl übergeben worden waren. Zu den Filmen lag
ein Verzeichnis vor, das die Bestandssignatur R 39 Anhang
"Personenstandsregister jüdischer Gemeinden aus Mittel- und
Ostdeutschland" erhielt. Filme mit jüdischen Matrikeln aus dem Gebiet der
Bundesrepublik gelangten nicht ins Bundesarchiv, sondern in die
zuständigen Landesarchive.
Im Geheimen
Staatsarchiv blieben Akten zurück, die die Erfassung und Sicherung
genealogischer Quellen in den vormals preußischen Provinzen östlich der
Elbe und die Zusammenarbeit mit genealogischen Vereinen betrafen. Der
Bestand trug im Geheimen Staatsarchiv die Signatur Rep. 309. Diese
Unterlagen wurden dem Bundesarchiv im August 2001 mit einem Verzeichnis
übergeben.
Akten des Reichssippenamtes gelangten
auch in das ehemalige Deutsche Zentralarchiv in Potsdam (später:
Zentrales Staatsarchiv der DDR). Ein exakter Nachweis über den Zeitpunkt
des Zugangs dieses Teilbestandes konnte bislang nicht aufgefunden werden.
Es ist anzunehmen, dass er zusammen mit Beständen jüdischer Gemeinden und
der Reichsvereinigung der Juden Mitte der 1960er Jahre von der Jüdischen
Gemeinde Berlin ins Archiv übergeben wurde. Der Teilbestand umfasste v.a.
Unterlagen zur Sicherung und Verfilmung von Kirchenbüchern und anderen
Personenstandsunterlagen, Unterlagen zu Abstammungsprüfungen sowie
Personalakten von Mitarbeitern. Die Akten waren unter der
Bestandssignatur 15.09 in einem vorläufigen Findbuch erfasst, das nach
einer Neuverzeichnung des Bestandes 1990 durch eine Findkartei ersetzt
wurde.
Dem Bestand zugeordnet wurden die
"Ergänzungskarten für Angaben über Abstammung und Vorbildung" aus der
Volkszählung vom 17. Mai 1939, die 1983 vom Dokumentationszentrum der
Staatlichen Archivverwaltung der DDR übernommen wurden. Die
Ergänzungskarten waren über Ortsverzeichnisse zugänglich. Mitte der 90er
Jahre wurde im Bundesarchiv mit der computergestützten Erfassung der
Karten begonnen. Seit Anfang 2001 steht die Datenbank im Benutzersaal des
Bundesarchivs in Berlin für Recherchen an diesem Datenbestand zur
Verfügung.
Archivische Bewertung und
Bearbeitung
Im Zuge der Erfassung der
verschiedenen Findmittel in der Datenbank des Bundesarchivs erfolgte in
den Jahren 2004 bis 2010 eine Überarbeitung des Gesamtbestandes. Als
Grundlage dienten dabei die bisherigen Findmittel, die durch Frau Meiburg
(Findbuch, Koblenz 1883), Frau Dr. Grahn (Findkartei, Potsdam 1990) und
durch das Geheime Staatsarchiv (Verzeichnis) erstellt worden waren.
Die Akten des Koblenzer Teilbestandes sowie die vom
Geheimen Staatsarchiv übernommenen Akten wurden umsigniert und mit dem
ehemaligen Potsdamer Teilbestand zusammengeführt. Die Koblenzer Akten
sind heute an den Signaturen ab R 1509/1001, die Akten des Geheimen
Staatsarchivs an den Signaturen ab R 1509/2001 erkennbar. Auf eine
komplette Neusignierung wurde verzichtet.
Eine
neue Klassifikation, die sich hauptsächlich an Sachzusammenhängen
orientiert, wurde erstellt. Eine Gliederung nach Akten- bzw.
Geschäftsverteilungsplan wäre auf Grund der sehr unterschiedlichen
Vorerschließung der bisherigen Teilbestände nur mit einer völligen
Neuverzeichnung des Bestandes möglich gewesen.
Im
Laufe der Bearbeitung wurden neue Bandreihen und Serien erstellt und eine
Neuordnung des Bestandes vorgenommen. Akten mit Abstammungsunterlagen
wurden ausgewertet und namentlich erschlossen.
Kassationen wurden nicht vorgenommen.
Abgaben
erfolgten in verschiedenen Zeiträumen an die Deutsche Zentralstelle für
Genealogie. Von besonderer Bedeutung sind hierbei v.a. folgende
Unterlagen:
· Filme und Kopien von Kirchenbüchern
südosteuropäischer Pfarreien sowie von Personenstandsregistern und
Kirchenbüchern aus dem ehemaligen Reichsgau Danzig-Westpreußen, dem
Bezirk Bialystok, dem Kreis Sudauen und dem Generalgouvernement (Abgabe
2005);
· Personenstandsregister jüdischer
Gemeinden aus Mittel- und Ostdeutschland (Abgabe 2010);
· Sippschaftstafeln Moordorf (Abgabe 2010).
Bereits 1965 waren Originalkirchenbücher, Filme von Kirchenbüchern
und familiengeschichtliche Sammlungen des Reichssippenamtes von der
Staatlichen Archivverwaltung der DDR an die Deutsche Zentralstelle für
Genealogie übergeben worden.
Inhaltliche Charakterisierung: Der
Hauptteil der Überlieferung des im Bundesarchiv vorliegenden Bestandes
bezieht sich auf den Schriftdenkmalschutz. Die Akten betreffen v.a. die
Sicherung, Restaurierung und Verfilmung von Kirchenbüchern und anderen
genealogischen Quellen.
Die Hauptaufgabe der
Behörde, die Abstammungsprüfung, ist sowohl durch Grundsatzvorgänge als
auch durch einzelne Abstammungsbescheide und Beschwerden dagegen
dokumentiert.
Des Weiteren finden sich Unterlagen
über die Tätigkeit der Sippenämter, Sippenkanzleien, sippenkundlichen
Vereine und Sippenforscher sowie zur Zusammenarbeit mit anderen
Behörden.
Zu den überlieferten Akten über
Organisations-, Verwaltungs- und Personalangelegenheiten gehören v.a.
Unterlagen zum Dienstbetrieb, zu Haushalts- und Kassenangelegenheiten
sowie Personalakten von Mitarbeitern.
Einen
besonderen Stellenwert besitzen die "Ergänzungskarten für Angaben über
Abstammung und Vorbildung" aus der Volkszählung vom 17. Mai 1939, die
Auskunft über die Zahl der jüdischen Einwohner nach dem Ergebnis der
Volkszählung geben. Ungefähr 80 Prozent der ursprünglich vorhandenen
Karten sind überliefert.
Zitierweise: BArch R
1509/...
- Reference number of holding
-
Bundesarchiv, BArch R 1509
- Extent
-
1335 Aufbewahrungseinheiten
- Language of the material
-
deutsch
- Context
-
Bundesarchiv (Archivtektonik) >> Norddeutscher Bund und Deutsches Reich (1867/1871-1945) >> Inneres, Gesundheit, Polizei und SS, Volkstum
- Other object pages
- Online-Beständeübersicht im Angebot des Archivs
- Zugangsbeschränkungen
-
Besondere Benutzungsbedingungen: Die Benutzung der Akten erfolgt nach den Bestimmungen des Bundesarchiv-Gesetzes.
- Last update
-
16.01.2024, 8:43 AM CET
Object type
- Bestand
Associated
- Reichssippenamt (RSA), 1940-1945
Time of origin
- 1814-1945, (-1947)