Bestand
[S 1] 01 Kriminalverfahren - Rats- und Magistratsgericht (Bestand)
Verwaltungsgeschichte/biographische Angaben: In der urkundlichen Bestätigung der Stadtrechte vom 8. Januar 1245 (U 2) wird bereits die Sonderstellung des Lemgoer Stadtbezirkes innerhalb der territorialen, lippischen Gerichtsbarkeit festgeschrieben. Die sich im Jahresrythmus abwechselnden Räte des Stadtregiments fungierten dabei als (Kriminal-)Gericht oder Halsgericht.
Zwar ernannte der Landesherr jeweils einen Stadtrichter (iudex), aber die Repräsentanten der Stadtbürger konnten sich früh ein Mitspracherecht sichern. Die Schöffen, also die eigentlichen Urteilsfinder, rekrutierten sich vermutlich aus den Reihen der amtierenden Ratsherren. Zwischen den 1470er und 1480er Jahren erwarb Lemgo gegen Geld das ius gladii (die Blutgerichtsbarkeit) von Bernhard VII. Vermutlich war damit auch die Ernennung des Richters verbunden. Die Hochgerichtsbarkeit lag nun vollständig in der Verfügungs- und Entscheidungsgewalt der beiden Bürgermeister und der beiden Räte. Der landesherrliche Stadtrichter wurde jedoch auch in Kriminalfällen hinzugezogen und fungierte de facto wie ein städtischer Justizbeamter. Er verkündete dabei nicht nur das Urteil in einem zeremoniellen Schlussakt, sondern war auch aktiv bei strafrechtlichen Zeugenvernehmungen beteiligt und erließ Gerichtsabschiede. Eine klare und scharfe Trennung zwischen städtischem Rat und landesherrlichem Richter fand also in der Rechtspraxis nicht statt. Dazu trug sicherlich auch bei, dass der Stadtrichter fast immer ein Lemgoer Bürger war und die Männer häufig begüterten Familien entstammten, die beste Beziehungen zum städtischen Rat hatten.
Ab 1794 musste der herrschaftliche und Stadtrichter zum städtischen Kriminalgericht hinzugezogen werden. Ohne den Stadtrichter konnte das Kriminalgericht nicht tätig werden. Das Kriminalgericht setzte sich aus den beiden regierenden Bürgermeistern, dem herrschaftlichen und Stadtrichter, den vier ersten Ratspersonen des regierenden Rates und dem Stadtsekretär zusammen. Stadtrichter und Bürgermeister wechselten sich in der Leitung des Kriminalgerichts nach dem Dienstalter ab. Die Erkenntnisse des Kriminalgerichts bedurften einer landesherrlichen Bestätigung. Akteneinsicht durch die Landesherrschaft geschah nur vor Ort durch einen dafür Deputierten der fürstlichen Regierung. Die Publizierung bzw. Veröffentlichung der Urteile des Kriminalgerichts erfolgte durch den herrschaftlichen und Stadtrichter. Die Jurisdiktionsgewalt des Kriminalgerichts erstreckte sich auch über die Feldmark und die Gehölze einschließlich der Turmhöfe, unabhängig davon, ob die Verbrechen von Bürger oder Nichtbürgern, Inländern oder Ausländern verübt wurden. Maßgeblich für die Zuständigkeit des Kriminalgerichts war dabei immer der Ort des Verbrechens, nicht die Herkunft des Täters oder der Ort seiner Verhaftung. In allen anderen Fällen musste der Verdächtige dem landesherrlichen Kriminalgericht in Detmold ausgeliefert werden. In offenbaren Kriminalverbrechen und in Fällen, bei denen eine Todesstrafe oder eine ehrverletzende Körperstrafe drohte, musste bereits bei der Generaluntersuchung (vgl. Inquisitionsprozess) der herrschaftliche und Stadtrichter hinzugezogen werden. In allen anderen Fällen musste das Kriminalgericht erst dann gebildet und der Stadtrichter hinzugezogen werden, wenn das eigentliche Verfahren eröffnet wurde.
Zu erwähnen wäre noch eine Besonderheit, und zwar das der Stadt Lemgo zugestandene Privilegium de non appellando in Sachen, deren Streitwert die Summe von 40 Talern nicht überstieg. Dieses Privileg blieb bis 1859 (5) bestehen.
Mit der reichsweiten Einrichtung von Amtsgerichten und ihren Bezirken und der klaren Trennung von Verwaltung und Justiz 1879 endete die städtische Gerichtsbarkeit in Lemgo.
- Bestandssignatur
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01.02.01 A
- Kontext
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Stadtarchiv Lemgo (Archivtektonik) >> Stadt Lemgo bis 1969 >> Gerichtsakten des Rates/Magistrats
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- Letzte Aktualisierung
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06.03.2025, 18:28 MEZ
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Objekttyp
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