Archivbestand
Bevollmächtigter für die französische Besatzungszone (Bestand)
Bestandsbeschreibung: Bevollmächtigter der Evangelischen Kirche im Rheinland für die französische Besatzungszone Lic. Carl Sachsse (1889-1966) diente im Ersten Weltkrieg u.a. als Hilfsprediger an der Erlöserkirche in Jerusalem (1916-1917). Von 1920 bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand 1959 war er Pfarrer in Oberwinter, seit 1941 auch Superintendent der Synode Koblenz. Nach nochmaligem Kriegsdienst 1941-1944 wurde er am 1.Oktober 1945 zum Beauftragten der Kirchenleitung zu Verhandlungen mit staatlichen Stellen und Besatzungsbehörden in der französischen Zone berufen. Er war somit -unter Ausklammerung des Saarlandes, für das Otto Wehr eine entsprechende Funktion ausübte- zuständig für die Regierungsbezirke Koblenz und Trier und führte fortan die Amtsbezeichnung Kirchenrat. Inhalt: Politische Fragebogen der Pfarrer der Kirchenkreise Altenkirchen, Birkenfeld, Koblenz, Kreuznach, Meisenheim, Simmern, Sobernheim, St. Wendel, Trarbach, Trier und Wied, z. T. mit persönlichen Erklärungen (1946); Verhandlungen mit den Militärbehörden, kommunalen Stellen und Kirchenbehörden (auch katholisch); Korrespondenz mit Kirchengemeinden; Zusammenarbeit mit Wohlfahrtsverbänden und Hilfswerken; Schulfragen; Jugendarbeit; Flüchtlingsfragen; Betreuung der in den Strafanstalten Landsberg und Wittlich einsitzenden Kriegsverbrecher; Ein- und Ausreisegenehmigungen; Betreuung der Displaced Persons (1950-1956) Literatur: Christophe Baginski: Frankreichs Kirchenpolitik im besetzten Deutschland 1945-1949 (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte 87), Mainz 2001 Ergänzende Archivbestände: Pers. 51 S 254; 1OB 017 (LKA-Sachakten), 11-7-2 Einleitung Biographie Carl Sachsse wurde am 08.11.1889 als Sohn des Professors für Praktische Theologie an der Universität Bonn Dr. Eugen Friedrich Ferdinand Sachsse (1839-1917) und dessen Frau Klara Gertrude, geb. Hartmann, in Herborn geboren und im selben Jahr am 22.12. getauft. Nachdem sein Vater 1890 die Professur für Praktische Theologie übernahm, zuvor war er Direktor des Seminars in Herborn, zog die Familie nach Bonn. Dort besuchte Carl Sachsse das Bonner Gymnasium und das Bonner Realgymnasium und schloss dieses 1908 mit dem Abitur ab. Danach begann er im selben Jahr ein Studium der Theologie an der Universität Bonn, wechselte 1910 an die Königliche Friedrich-Wilhelm-Universität in Berlin, kehrte aber im selben Jahr zurück nach Bonn, wo er 1912 das Studium mit dem akademischen Grad Lic. theol. und der Auszeichnung "magna cum laude" abschloss. Die erste theologische Prüfung legte er 1913 in Koblenz ab. Von 1915-1918 leistete er Militärdienst. Während seines Dienstes war er von 1916 bis 1917 in Jerusalem stationiert. Dort betätigte er sich zunächst von Dezember 1916 bis Februar 1917 als Feldprediger, wurde dann von Februar bis August 1917 als Hilfsgeistlicher zum evangelischen Probst in Jerusalem, Dr. Jeremias abkommandiert und fungierte danach erneut von August 1917 bis Kriegsende als Feldprediger. Nach seiner Zeit beim Militär und dem Ende des ersten Weltkriegs, legte er 1919 die zweite theologische Prüfung ebenfalls in Koblenz ab und wurde 1920 in Oberwinter ordiniert und dort als Pfarrer eingesetzt. Diese Pfarrstelle behielt er bis zu seiner Emeritierung 1959. In der Zeit des Kirchenkampfes, schloss er sich der Bekennenden Kirche an und nahm 1934 an ihrer konstituierenden Synode in Barmen teil, auf der die Barmer Theologische Erklärung verabschiedet wurde. Von 1941 bis 1944 leistete er erneut Militärdienst und schied 1944 im Rang eines Hauptmanns nach einer Verwundung aus der Armee aus. Für seine militärischen Dienste erhielt er ein Verwundeten-Abzeichen und das Kriegsverdienstkreuz 1. Klasse mit Schwertern. Nach seiner Zeit beim Militär setzte er seine Tätigkeit als Pfarrer in Oberwinter fort. Bereits 1938 wurde er Superintendentur-Vertreter und blieb dies bis 1941, als er zum Superintendenten der Synode Koblenz ernannt wurde. Auch dieses Amt führte er nach seiner Entlassung aus der Wehrmacht 1944 fort bis zu seiner Emeritierung 1959. Daneben wurde er 1945 Bevollmächtigter der Kirchenleitung für die Südrheinprovinz bzw. für die nördliche französische Besatzungszone. Ausgenommen davon war das Saarland, für das Otto Weher eine entsprechende Funktion ausübte. Er behielt das Amt bis 1957. In dieser Funktion erhielt er auch den Amtstitel Kirchenrat. Daneben war er noch von 1949 bis 1956 nebenamtliches Mitglied der Kirchenleitung und 1949 Vorsitzender des Rundfunkausschusses für den Koblenzer Sender. Carl Sachsse verblieb auch nach seiner Emeritierung in Oberwinter und nahm weiterhin aktiv am Gemeindeleben teil. Auch übernahm er nach seiner Emeritierung noch Urlaubsvertretungen und Vakanzen in der Gemeinde Oberwinter. Carl Sachsse starb ledig im Alter von 77 Jahren am 18.10.1966 in Oberwinter. Seine Grabrede wurde vom damals amtierenden Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz, Peter Altmeier, gehalten. (1) (1) Vgl. dazu: Archiv der Evangelischen Kirche im Rheinland (AEKiR), 1 OB 009, S 254. Vgl. dazu ergänzend: BUITKAMP, Georg: Kirchenrat Dr. Carl Sachsse verstorben. In: Heimatjahrbuch des Kreises Ahrweiler (1968). S. 124-125. Die Ausgabe ist unter http://kreis-ahrweiler.de/kvar/ zu finden (Besucht am 13.09.2016, 11:41 Uhr.) Behörden- und Bestandsgeschichte Das Amt des Bevollmächtigten für die Evangelische Kirche im Rheinland im Bereich der französischen Zone wurde nach dem Ende des zweiten Weltkriegs 1945 geschaffen, um eine Stelle zu haben, welche vor Ort einerseits die Kommunikation zwischen der Kirchenleitung und der Militärverwaltung gewährleisten und andererseits die Kirchenleitung bzw. die Gesamtkirche vertreten und in ihrem Auftrag handeln konnte. Für das Amt des Bevollmächtigten wurden in der Regel Superintendenten eingesetzt, die über das notwendige diplomatische Geschick verfügten, Ansehen in Politik und Gesellschaft an ihrem jeweiligen Einsatzort besaßen und zusätzlich die notwendigen Sprachkenntnisse hatten, um diese Rolle ausfüllen zu können. Der Amtsinhaber fungierte also quasi als „Kirchendiplomat“ und Seelsorger und war direkt der Kirchenleitung unterstellt. Die Registratur bestand für die Dauer der Notwendigkeit des Amtes von 1945-1959 und wurde nach Auflösung dieses Amtes 1959 von dem bisherigen Inhaber, Kirchenrat Lic. Carl Sachsse an das Landeskirchenarchiv übergeben. Ausgeschieden aus dem Bestand wurden die Unterlagen über Beschaffung von Reisepässen (1946-1948), die Unterlagen aus dem Bereich „Kultus“ (1946-1949) sowie die Unterlagen zu Büromaterialien (1946-1953). Bestandsstruktur Der Bestand lässt sich in fünf Schwerpunktfelder seiner Tätigkeit untergliedern: Der erste Schwerpunkt betrifft die Korrespondenz sowohl auf offizieller als auch auf halb offizieller halb privater Ebene mit den französischen Militärbehörden, den Bundesbehörden, den Landesbehörden und den kommunalen Behörden, sowie den Kirchenbehörden, Superintendenten, Gemeinden und Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft. Der zweite Schwerpunkt liegt in der Arbeit mit und für die Kriegsgefangenen, Kriegsflüchtlinge und Kriegsheimkehrer. Unter die Kriegsgefangenen wurden dabei auch die verurteilten NS-Kriegsverbrecher gerechnet. Im Rahmen der Kriegsgefangenen und verurteilten NS-Kriegsverbrecher war er als Supervisor für Häftlinge aus dem Gefängnis Landsberg/Lech zuständig, die auf Parole in die französische Zone entlassen wurden, sowie für die inhaftierten Kriegsverbrecher im Gefängnis Wittlich – vornehmlich im Bereich Seelsorge und Gnadengesuche. Der dritte Schwerpunkt im Bestand der Registratur umfasst vorwiegend Verwaltungs- und Pressearbeit und beinhaltet u.a. Aufzeichnungen zu Sonntagsblättern, Benzinverteilung, dem Verfassungsprozess von Rheinland-Pfalz, Materialbeschaffungen für Instandsetzungsmaßnamen an den Kirchen, bis hin zu den Kassen- und Rechnungsbüchern der Registratur sowie Abrechnungen über das Staatsgehalt. Der vierte Schwerpunkt ist zugleich der kleinste. Er behandelt nur die Displaced Persons – im Allgemeinen staatenlose bzw. heimatlose Menschen, oder Menschen, die ohne Hilfe nicht in ihre ursprünglichen Staaten zurückkehren konnten. Dazu gehörten Holocaustüberlebende, Zwangsarbeiter, Zwangsdeportierte und sonstige KZ-Überlebende. Als fünfter und letzter Punkt behandelt der Bestand noch die Vorgänge rund um die Freie Wohlfahrt auf provinzialer und auf Kreisebene. Historischer Wert des Bestands Der Schwerpunkt 1, die Korrespondenz mit den verschiedenen behördlichen Instanzen innerhalb und außerhalb der Kirche, bietet einen mitunter breiten Überblick über die Sorgen und Nöte der Bevölkerung nach dem Ende des Krieges und zur Zeit der französischen Besatzung, insbesondere für das spätere Bundesland Rheinland-Pfalz, angefangen von akuter persönlicher Not bis hin zu Beschwerden über Enteignungen und Beschlagnahmungen durch die französische Militärregierung auf Gemeinde-Ebene, bis hin zu Verwaltungsfragen der Kirchenkreise und Kontakte zu höchststaatlichen Stellen sowohl der französischen Militärverwaltung, als auch der jungen Bundesrepublik. Einen besonderen historischen Wert erhält der Bestand jedoch durch den zweiten Schwerpunkt, nämlich die Arbeit mit und für die Kriegsgefangenen und verurteilten Kriegsverbrecher, die zeitgenössisch ebenfalls als Kriegsgefangene galten. Dieser besondere historische Stellenwert zeigt sich vor allem durch die Arbeit der Theologin Katharina von Kellenbach, die innerhalb ihrer Forschungsarbeit zum Umgang mit den verurteilten NS-Tätern im Nachkriegsdeutschland mit dem Bestand im Rahmen ihres Werks „The Mark of Cain“ (2) gearbeitet hat. Aber auch abseits dieser historischen Aufarbeitung der Frage durch von Kellenbach, liefert dieser Teil einen guten Überblick darüber, wie man die Taten der verurteilten Kriegsverbrecher in den ersten Jahren der Nachkriegszeit bewertet hat und wie groß, oder eben wie klein das Verständnis bzw. die Akzeptanz der Gerichtsbarkeit der Besatzungsmächte war. Zusätzlich zu den beiden genannten Schwerpunkten des Bestands, tritt der Teilbestand der Einzelfälle (Bf.40-45) hervor. Dieser liefert einen guten Querschnitt über die Sorgen und Anliegen der Menschen im Zusammenhang der Kriegsverbrecher-, Kriegsgefangenen- und Entnazifizierungsthematik sowie der Flüchtlingsproblematik (Vertriebene). Insgesamt gibt der Bestand einen guten Einblick in den Stellenwert, den die Kirche in der Nachkriegszeit für die Menschen und ihren Alltag in der französischen Zone hatte. Sie diente vielfach als quasi letzte Appellationsinstanz, gegenüber behördlichen Entscheidungen, insbesondere denen der französischen Militärregierung, wenn auch nicht de iure. (2) KELLENBACH, Katharina von: The Mark of Cain. Guilt and Denial in the Post-War Lives of Nazi Perpetrators, New York 2013. Weiterführende Bestände 1 OB 009, S 254: Personalakte 6 HA 006, 340: Einrichtung und Finanzierung der Gefangenenfürsorge für Angehörige der Inhaftierten in Wittlich 6 HA 006, 341: Finanzierung der Gefangenenfürsorge und Gefangenenseelsorge im Gefängnis Wittlich Auswahlbibliographie BAGINSKI, Christophe: Frankreichs Kirchenpolitik im besetzten Deutschland 1945-1949 (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte 87), Mainz 2001. BUITKAMP, Georg: Kirchenrat Dr. Carl Sachsse verstorben, in: Heimatjahrbuch des Kreises Ahrweiler (1968). S. 124–125. KELLENBACH, Katharina von: Die Rede von Schuld und Vergebung als Täterschutz, in: Materialdienst Evangelischer Arbeitskreis Kirche und Israel in Hessen und Nassau 1 (2008). S. 21–28. KELLENBACH, Katharina von: The Mark of Cain. Guilt and Denial in the Post-War Lives of Nazi Perpetrators, New York 2013. KRONDORFER, Björn/KELLENBACH, Katharina von/RECK, Norbert (Hg.): Fragen an die deutsche Theologie nach 1945 mit Blick auf die Täter, Gütersloh 2006. MÖHLER, Rainer: Entnazifizierung in Rheinland-Pfalz und im Saarland unter französischer Besatzung von 1945 bis 1952 (Veröffentlichungen der Kommission des Landtages für die Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz 17), Mainz 1992. MOISEL, Claudia: Frankreich und die deutschen Kriegsverbrecher. Politik und Praxis der Strafverfolgung nach dem Zweiten Weltkrieg, Göttingen 2004. OSTERLOH, Jörg/VOLLNHALS, Clemens (Hg.): NS-Prozesse und deutsche Öffentlichkeit. Besatzungszeit, frühe Bundesrepublik und DDR, Göttingen 2011.
- Bestandssignatur
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1OB 004
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05.11.2025, 13:59 MEZ
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