Archivale

König Heinrich IV. erläßt den Juden und Bürgern zu Worms aufgrund der treuen Dienste der Bürgerschaft in Gegenwart Erzbischof Liemars von Bremen sowie der Bischöfe Eberhard (Eppo) von Naumburg-Zeitz, Dietrichs von Verdun, Hermanns von Bamberg und Burchards von Basel den in den königlichen Zollstätten zu Frankfurt, Boppard, Hammerstein, Dortmund, Goslar und Angeren fälligen Zoll (Teloneum ... in omnibus locis regiae potestatis assignatis - ... Franchenevvrt, Boparten, Hamerstein, Drvtmvnne. Goslarie, Angere - <Iudei et coeteri> Uvormatienses solvere praetereuntes debiti erant, Uvormatiensibus ... remisimus)

Reference number
Stadtarchiv Worms, 001AI, I - 0003
Former reference number
Abt. 1 A I Nr. 3
Dimensions
Größe/Format: H. 720/713 mm, B 565/568 mm
Notes
Literatur: zuletzt umfassend: Gerold Bönnen, "… würdiger als alle Bürger irgendeiner Stadt". 950 Jahre Urkunde König Heinrichs IV. für Worms 1074 - 2024 (heidok Heidelberger Dokumentenserver - elektron. Publikation, Sept. 2023, 88 S. mit 33 Abb.) URL: DOI: 10.11588/heidok.00033774 URL: http://www.ub.uni-heidelberg.de/archiv/33774 - DNB-Datensatz: https://d-nb.info/1302466771
zugleich in: Der Wormsgau 38, 2022/23, S. 9-81 (mit 33 Abb.)
textidentische Monographie Worms 2023, Wernersche Verlagsgesellschaft (ISBN 978-3-88462-414-2, 88 S. mit 33 Abb.)
aus der älteren Lit.: Gerold Bönnen, Aspekte gesellschaftlichen und stadtherrschaftlichen Wandels in salierzeitlichen Städten, in: Tilman Struve (Hrsg.), Die Salier, das Reich und der Niederrhein, Köln u. a. 2008, S. 207-281, S. 249f.; Gerold Bönnen, Die Blütezeit des hohen Mittelalters: Von Bischof Burchard zum Rheinischen Bund (1000-1254), in: Gerold Bönnen (Hrsg.), Geschichte der Stadt Worms, Darmstadt 2005, S. 133-179, hier S. 144f.; Gerold Bönnen, Zur Entwicklung von Stadtverfassung und Stadtgemeinde im hochmittelalterlichen Worms, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins, Bd. 150, Stuttgart 2002, S. 113-159, hier S. 120f.; zu den Ereignissen von 1073/74 auch: Knut Schulz, "Denn sie lieben die Freiheit so sehr…". Kommunale Aufstände und Entstehung des europäischen Bürgertums im Hochmittelalter, 2. Aufl., Darmstadt 1995, v. a. S. 78-81; Gerhard Dilcher, Die deutsche Bischofsstadt zwischen Umbruch und Erneuerung. Stadtherrliche Rechtspositionen und bürgerliche Emanzipation im Gefolge des Investiturstreits, in: J. Jarnut, M. Wemhoff (Hrsg.), Vom Umbruch zur Erneuerung? Das 11. und beginnende 12. Jahrhundert, München 2006, S. 499-510, hier: S. 504 (Die herrscherliche Gunst "langte [...] nur zu einem Zoll- und Handelsprivileg, nicht zu einer Anerkennung einer festen Verfassungsform der Bürgerschaft". Vgl. dagegen: Bernd-Ulrich Hergemöller (Hrsg.), Quellen zur Verfassungsgeschichte der deutschen Stadt im Mittelalter, Darmstadt 2000, S. 10: Er sieht mit 1074 einen "epochalen Wandel" und betont die "implizite Anerkennung und Bestätigung eines Autonomieprozesses, der faktisch auf Abbau der hergebrachten Herrenrechte gerichtet ist"); Bernhard Diestelkamp, König und Städte in Salischer und Staufischer Zeit: Regnum Teutonicum, in: Friedrich Vittinghoff (Hrsg.), Stadt und Herrschaft: römische Kaiserzeit und hohes Mittelalter, München 1982, S. 247-297, S. 269f. und 282f. (problematisch); Hans Wibel, Die ältesten Stadtprivilegien, insbesondere das Diplom Heinrichs V. für Speyer, in: Archiv für Urkundenforschung, Bd. 6, 1918, S. 234-262, v. a. S. 239ff.; Hansjörg Grafen, Die Speyerer im 11. Jahrhundert. Zur Formulierung eines städtischen Selbstverständnisses in der Salierzeit, in: Horst Wolfgang Böhme (Hrsg.), Siedlungen und Landesausbau zur Salierzeit, Sigmaringen 1991, S. 97-152, hier: S. 140 (Betonung der "eindeutigen politischen Ausnahmesituation"); F. Opll, Stadt und Reich im 12. Jahrhundert (1125-1190), Wien/Köln 1986, S. 172f.; Andreas Urban Friedmann, Die Beziehungen der Bistümer Worms und Speyer zu den ottonischen und salischen Königen, Mainz 1994, S. 140; Hubertus Seibert, Reichsbischof und Herrscher. Zu den Beziehungen zwischen Königtum und Wormser Bischöfen in spätsalisch-frühstaufischer Zeit (1107-1217), in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins, Bd. 143, 1995, S. 97-144, hier: S. 101 Anm. 23; für den hohen Stellenwert der Ereignisse in der vergleichenden Stadtgeschichtsforschung sei stellvertretend verwiesen auf: H. Stoob, Über den Aufbruch zur Städtebildung in Mitteleuropa, in: J. Jarnut, P. Johanek (Hrsg.), Die Frühgeschichte der europäischen Stadt im 11. Jahrhundert, Köln u. a. 1998, S. 1-20, hier S. 1f.; zum allgemeinen Zusammenhang der Stadtgemeindebildung um 1100 in weiterer Perspektive: H. Jakobs, Stadtgemeinde und Bürgertum um 1100, in: Bernhard Diestelkamp (Hrsg.), Beiträge zum hochmittelalterlichen Städtewesen, Köln/Wien 1982, S. 14-54; H. Jakobs, Kirchenreform und Hochmittelalter 1046-1215, 2. Aufl., München 1988, v. a. S. 112-120; im Zusammenhang mit Fragen des Zollwesens: F. Pfeiffer, Rheinische Transitzölle im Mittelalter, Berlin 1997, v. a. S. 235f. (zu der bislang unterschiedlich lokalisierten Zollstelle Angeren am Niederrhein, gelegen ca. zwei km südlich von Huissen bei Arnheim, Niederlande); Gerold Bönnen, Urkunde Heinrichs IV. für die Stadt Worms, 1074, in: Canossa 1077. Erschütterung der Welt. Geschichte, Kunst und Kultur am Aufgang der Romanik, Bd. 2: Katalog, hg. v. Christian Stiegemann u. Matthias Wemhoff, München 2006, Nr. 291-292 S. 208f. (und Foto Bd. 1, S. 193); Die Kaiser und die Säulen ihrer Macht. Von Karl dem Großen bis Friedrich Barbarossa, hg. v. d. Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz u. Bernd Schneidmüller, Darmstadt 2020, S. 321-323 Kat. Nr. III, 10 (Gerold Bönnen) mit Abb.

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Microfilm/-fiche, Digitalisierung: StadtAWo_Abt1AI_0003_10740118_r|StadtAWo_Abt1AI_0003_10740118_v
03/2020 neue Fotografie Vorderseite und Siegel durch Fotograf Stefan Blume, Fotos im Ordner Reproduktionen 1 A (Nutzung mit Fotografenangabe möglich)

Vermerke: Adalbero canc. vice Sigefridi archicanc., verfaßt und geschrieben von AC; M.; SI. 4. Regiae potestatis est.

Beschreibstoff: Pergament

Siegel: aufgedrücktes Herrschersiegel (restauriert 1990), Siegeldurchmesser (innen) 83 mm

Erläuterungen: Vor dem Hintergrund der krisenhaften politischen Situation des Reiches und einer nahezu aussichtslosen Lage für die Königsherrschaft Heinrichs IV. war dieser nach dem Bericht Lamperts von Hersfeld von den Wormser Bürgern aufgenommen worden. Der bischöfliche Stadtherr musste fliehen; bewaffnet und gerüstet gelobten die Bürger dem König Beistand, Treue und Hilfe. Die Wormser ‚cives' treten hier erstmals als politisch-militärischer Faktor hervor. Heinrich IV. stellte in der für ihn dramatischen politischen Lage für die 'Juden und übrigen Wormser' (judei et coeteri Wormatienses) aus Dankbarkeit für die ihm von der Stadt gewährte politisch-militärische Unterstützung eine Urkunde aus, in der den Wormsern (Uvormatiensis civitatis habitatores) Zollfreiheiten an den königlichen Zollstätten in Frankfurt am Main, Boppard, Hammerstein (am Rhein), Dortmund, Goslar und Angeren (bei Arnheim, heute Niederlande) erteilt. Der König förderte damit die wirtschaftliche Betätigung der Stadt und ihrer im Fernhandel tätigen Bewohnerschaft. Hinsichtlich der in der Forschung längere Zeit umstrittenen Frage der Echtheit des Passus über die ‚Juden und übrigen Wormser' wird inzwischen übereinstimmend angenommen, dass der Zusatz noch im Zusammenhang der Ausstellung der Urkunde und somit kanzleigemäß nachgetragen worden ist. Es handelt sich um die älteste im Original erhaltene Urkunde des Wormser Stadtarchivs und "die erste Urkunde überhaupt, die im deutschen Reich vom König den Bürgern einer Stadt ausgestellt worden ist" (Schulz 1992). Zugleich besitzt sie den Charakter eines politisch-programmatischen Manifests: Die Hilfe der Wormser für den Herrscher wird als Vorbild für andere Städte herausgestellt. Die Urkunde ist sowohl ein Zeugnis für die wirtschaftliche Betätigung der Mitglieder der blühenden Wormser Judengemeinde im Fernhandel als auch ein Dokument für die Herausbildung der eigenständigen Wormser Stadtgemeinde. Bereits die Tatsache, dass die Urkunde in einer städtischen Archivüberlieferung verblieben ist, bezeugt die Existenz eines funktionsfähigen Leitungsgremiums bzw. eine auf Dauerhaftigkeit angelegte kommunale Organisationsform schon vor der Herausbildung einer fester institutionalisierten Stadtgemeinde. Der Einwand, man dürfe den Wert des Diploms angesichts der ‚eindeutigen politischen Ausnahmesituation' und wegen des überwiegend plakativen Charakters der Urkunde nicht einseitig überbetonen, ist zwar nicht völlig von der Hand zu weisen; allerdings handelt es sich immerhin um die erste, den Bewohnern einer Stadt (nicht einer Kaufleutegemeinschaft) als Kollektiv ausgestellte Herrscherurkunde im Deutschen Reich überhaupt. Offenkundig hat man den als Gemeinschaft handlungsfähigen (communi civium favore) Empfängern ein genügendes Maß an Dauerhaftigkeit zugetraut und einen eigenen Rechtsstatus zugeschrieben. Bereits die Tatsache, dass die Urkunde und die nach ihr folgenden Privilegien - wie es bereits im Falle von Halberstadt beobachtet werden konnte - in einer städtischen Archivüberlieferung verblieben ist, bezeugt, dass es ein funktionsfähiges Leitungs- und Beratungsgremium bzw. eine wie auch immer geartete, auf Dauerhaftigkeit angelegte kommunale Organisationsform gut hundert Jahre vor der Herausbildung einer institutionalisierten Stadtgemeindespitze, dem Rat, gegeben hat. Nicht zu unterschätzen ist zudem die legitimatorische Wirkung, die Freisetzung weiterer Triebkräfte zur fortschreitenden Gemeinschaftsbildung und die Steigerung des Selbstwertgefühls der Wormser frühstädtischen Führungsgruppe. Als programmatisches Dokument der Dankbarkeit in einer außergewöhnlichen politischen Konstellation, als demonstratives politisches Manifest ist die von Heinrich IV. am 18.1.1074 den Wormsern ausgestellte Urkunde anzusehen, deren dispositiver Teil lediglich einen Satz enthält und die vor allem ein Lob der als vorbildlich gefeierten Tat der Uvrmatiensis civitatis habitatores (Empfänger) darstellt. Den ‚Juden und übrigen Wormsern' wird im Gegenzug für ihre Hilfe die Zollabgabe an königlichen Zollstätten erlassen, also die Gewährung eines gewichtigen wirtschaftlich-finanziellen Vorteils festgeschrieben. Daß bei der Formulierung des Empfängerkreises ottonische Vorbilder der Privilegierung von ‚Judei et mercatores' bzw. ‚negotiatores' für Magdeburg und Merseburg (965, 980) herangezogen worden sein dürften, sei am Rande vermerkt. Wichtig ist dies für die Frage nach der längere Zeit für fraglich gehaltenen Echtheit bzw. unmittelbaren Zeitnähe des auf die Juden Bezug nehmenden Zusatzes. Auf diesen Zusammenhang aufmerksam gemacht zu haben ist das Verdienst von F. Rörig (Magdeburgs Entstehung und die ältere Handelsgeschichte (Berlin 1952) S. 24f.). Damit dürfte auch die Diskussion um die Echtheit der die Juden umfassenden Formulierung im Diplom H. IV. Nr. 267 ein Ende gefunden haben.
Beiliegend Abschrift und Übersetzung aus dem 17./18. Jahrhundert.

Erhaltung: insgesamt gut, Tinte stark verblaßt, Löcher von Stecknadeln in den vier Ecken

genetisches Stadium: Ausfertigung

Edition / Druck: Dietrich v. Gladiß, Alfred Gawlik (Bearb.), Monumenta Germaniae Historica. Diplomata regum et imperatorum Germaniae. Die Urkunden der deutschen Könige und Kaiser, Bd. VI: Die Urkunden Heinrichs IV, Teil I, Berlin 1941, Nr. 267 S. 341-343 (mit den wichtigen Zusätzen in Teil 3, Hannover 1978, S. LXII Anm. 194); mit Übersetzung: Bernd-Ulrich Hergemöller (Hg.), Quellen zur Verfassungsgeschichte der deutschen Stadt im Mittelalter, Darmstadt 2000, Nr. 16 S. 100-104 (im Zusammenhang der "Frühformen gefreiter Ortsgemeinden in salischer Zeit", S. 9f.); Das Reich der Salier 1024-1125 (Katalog zur Ausstellung des Landes Rheinland-Pfalz), Speyer 1992, 498f.; Heinrich Boos, Urkundenbuch der Stadt Worms, Bd. 1, Berlin 1886, S. 47 Nr. 56
Faksimile: Canossa 1077. Erschütterung der Welt 2. Essays S. 193.
Foto: Irmgard Fees, Francesco Roberg (Hrsg.), Die ältesten Urkunden aus dem Stadtarchiv Worms (1074-1255), Leipzig 2006 (Digitale Urkundenbilder aus dem Marburger Lichtbildarchiv älterer Originalurkunden 1), Tafel 1a und 1b (Zugangsnr.: 15693)
online: Lichtbildarchiv älterer Originalurkunden (LBA), http://lba.hist.uni-marburg.de; Regesta Imperii (RI III,2,3 n. 680), http://www.regesta-imperii.de/id/1074-01-18_1_0_3_2_3_680_680; Monasterium (Virtuelles Urkundenarchiv), http://www.monasterium.net/mom/DE-StaAWo/Abt1AI/I-0003/charter
RI III,2,3 n. 680, in: Regesta Imperii Online,
URI: http://www.regesta-imperii.de/id/1074-01-18_1_0_3_2_3_680_680
(Abgerufen am 05.10.2019).

Ausstellungsort: Worms

Context
001AI - Reichsstädtisches Archiv: Urkunden I
Holding
001AI - Reichsstädtisches Archiv: Urkunden I

Date of creation
1074 Januar 18.

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Last update
15.12.2023, 3:52 PM CET

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  • Archivale

Time of origin

  • 1074 Januar 18.

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