Archivbestand
270,1/Historischer Verein für die Grafschaft Ravensberg e.V. (Bestand)
Verwaltungsgeschichte/biographische Angaben:
Form und Inhalt: Vorwort zum Bestand 270,1/Historischer Verein für die Grafschaft Ravensberg
Vereinsgeschichte
Der Historische Verein für die Grafschaft Ravensberg wurde am 27. Mai 1876 in einer konstituierenden Sitzung im Ausflugslokal "Bückardts Garten" (auf dem heutigen Gelände der Bückardtschule) am Stadtrand von Bielefeld gegründet. Der Verein sollte gemäß den Vorstellungen seiner aus dem Bürgertum stammenden Gründerväter dazu dienen, das Geschichtsbewusstsein der Menschen der Region Ravensberg zu wecken und zu fördern und auf diese Weise dem festgestellten "nivellierenden Zeitgeiste" entgegenwirken. Diese Zielsetzung war vor allem mit dem Gedanken verbunden, die seit Mitte des 19. Jahrhundert stark veränderten Lebensverhältnisse in Bielefeld "durch eine Besinnung auf die Vergangenheit zu untermauern" (Forwick, S. 9). Waren vorherige Versuche zur Gründung eines Ravensberger Geschichtsvereins 1862 und 1865 gescheitert, so erwies sich das politisch-gesellschaftliche Klima im Bielefeld der 1870er Jahre angesichts des großen Interesses vieler Bürger an einer Aufarbeitung der regionalen Geschichte für die Etablierung des Vereins als günstig. Entsprechend schnell nahm das Vereinsleben konkrete Gestalt an. So wurde am 21. Juni 1876 ein siebenköpfiger Vorstand gewählt, dessen Vorsitz der Gymnasialdirektor Dr. Otto Nitzsch (1824-1904) bekleidete. Bis Jahresende verfügte der Historische Verein bereits über 92 Mitglieder.
In den ersten Jahren konzentrierte sich die Vereinstätigkeit vor allem darauf, das unzulänglich aufbewahrte und zum Teil geographisch verstreute Quellenmaterial zur Geschichte von Stadt und Region zu sammeln und zu ordnen, wobei das Augenmerk besonders auf Urkunden lag. Zudem wurden in der Gaststätte "Modersohn" neben der Altstädter Kirche regelmäßig Vorträge zu geschichtlichen bzw. regionalgeschichtlichen Themen angeboten. Durch Buchschenkungen anderer Geschichtsvereine konnte zusätzlich eine eigene Vereinsbibliothek eingerichtet werden. Darüber hinaus waren die Vereinsmitglieder um die Erhaltung der zur Ruine gewordenen Burg Sparrenberg (Sparrenburg) bemüht, die auf Initiative des Vereins im Jahr 1878 von der Stadt Bielefeld erworben wurde. Der Vorsitzende Dr. Nitzsch wiederum widmete sich persönlich der Sichtung und Ordnung der städtischen Bestände an Archivalien und verfasste - unter Berücksichtigung von Archivalienbeständen in Münster und Düsseldorf - eine bis 1346 reichende Stadtchronik. 1894 hatten die Sammlungen des Vereins einen solchen Umfang erlangt, dass die Bestände, die Bibliothek und das Archiv aus technischen Gründen der Stadt Bielefeld geschenkt wurden.
Unter dem seit 1896 amtierenden neuen Vorsitzenden, dem Geheimen Regierungs- und Oberschulrat Dr. Rudolf Reese (1862-1930), wurde das Projekt eines Bauernhausmuseums in Angriff genommen, welches den Bielefeldern die Lebensweise ihrer bäuerlichen Vorfahren veranschaulichen sollte und damit den vom Verein gepflegten Themen wie ländlichem Brauchtum, Siedlungsgeschichte und Volkskunst verpflichtet war. 1912 - ein Jahr nach Amtsantritt von Reeses Nachfolger Prof. Dr. Hermann Tümpel (1857-1923) - konnte schließlich mit Unterstützung des Oberbürgermeisters Dr. Rudolf Stapenhorst (1864-1944) ein für das Projekt geeignetes Objekt erworben werden. Es handelte sich dabei um das Hauptgebäude des Hofes Meyer zu Ummeln, welches die Basis für das 1917 an der Ochsenheide eröffnete Bauernhausmuseum bildete.
Ein nicht realisiertes Projekt blieb lange Zeit das seit Vereinsgründung geplante "Bielefelder Urkundenbuch". Reese hatte die Arbeit seines Amtsvorgängers Nitzsche an den Urkundenbeständen aufgrund terminlicher Auslastung nicht fortsetzen können, zumal die Herausgabe eines wissenschaftlich fundierten Urkundenbuchs die Arbeit eines dafür ausgebildeten Archivars erforderlich machte. Daher wurde 1913 der Düsseldorfer Staatsarchivdirektor Dr. Bernhard Vollmer (1886-1958) mit der weiteren Bearbeitung der Urkunden beauftragt. Die beabsichtigte Herausgabe des Urkundenbuchs bis Ostern 1921 wurde durch die Inflation jedoch vereitelt, sodass erst unter Tümpels Nachfolger, dem ab 1923 amtierenden Prof. Dr. Rudolf Schrader (1863-1941), das "Urkundenbuch der Stadt und des Stiftes Bielefeld" im Jahr 1937 veröffentlicht werden konnte. Die zu dieser Zeit unternommenen Versuche, die seit 1876 herausgegebenen Vereinspublikationen "Ravensberger Blätter" und "Jahresbericht" insgesamt "volkstümlicher" und damit weniger wissenschaftlich fundiert zu gestalten, konnte Schrader allerdings nur schwer unterbinden. Darüber hinaus musste er sich der unter politischem Druck erfolgten (zeitweiligen) Namensänderung des Historischen Vereins in "Bielefelder Geschichts- und Heimatverein" letztlich fügen.
In den ersten Nachkriegsjahren widmete sich der Verein unter dem neuen Vorsitzenden Dr. Gustav Engel (1893-1989), der das Amt seit dem Tod des kommissarischen Vorsitzenden Dr. Rudolf Stapenhorst im Oktober 1944 innehatte, vor allem der Stadtkernforschung. Das Ergebnis dieser Betätigung war eine umfassende Dokumentation der Anlage der alten Stadt Bielefeld. Bezüglich der Vereinspublikationen trat Engel erneuten Bestrebungen nach einer Senkung des Niveaus erfolgreich entgegen und beharrte auf dem wissenschaftlichen Anspruch von "Ravensberger Blättern" und "Jahresbericht". Ab 1953 widmete er sich dem Projekt "Ravensberger Regesten", einer geplanten Sammlung von über 1000 zu Regesten bearbeiteten Quellen zur Grafschaft Ravensberg bis zum Jahr 1346. 1986 konnten die "Ravensberger Regesten" schließlich veröffentlicht werden. Vier Jahre später verlieh der Historische Verein erstmals den zur Würdigung von Nachwuchswissenschaftlern gestifteten "Gustav-Engel-Preis".
Im Jahr seines hundertjährigen Bestehens umfasste der Historische Verein 730 Mitglieder und unterhielt mehrere Arbeitsgruppen wie die "Familienkundliche Arbeitsgemeinschaft" sowie die "Plattdeutsche Gruppe", die 1976 selber schon eine Tradition von mehreren Jahrzehnten aufweisen konnten. Der 1968 ins Amt gekommene Vorsitzende Oberstudienrat Erich Forwick (1905-1989) mahnte anlässlich des Jubiläums an: "Die Vergangenheit kritisch auszuwerten, um die Gegenwart zu verstehen und die Zukunft mitzugestalten - das bleibt die Aufgabe unseres Vereins auch für die kommenden Jahrzehnte." In diesem Sinne waren der Verein sowohl unter Forwick als auch unter seinem seit 1980 amtierenden Nachfolger Dr. Reinhard Vogelsang besonders darum bemüht, das im Bielefelder Stadtrat bereits 1964 beschlossene Historische Museum Realität werden zu lassen. So organisierte eine Arbeitsgruppe des Vereins in Zusammenarbeit mit Mitarbeitern des Stadtarchivs in der Sheddachhalle des zuvor angekauften Gebäudekomplexes der Ravensberger Spinnerei 1986 die Ausstellung "Bielefelds Weg ins Industriezeitalter", die aufgrund ihres Erfolgs die Tauglichkeit der ehemaligen Ravensberger Spinnerei als Museumsort unter Beweis stellte. Da Vogelsang nun mit dem Aufbau des Museums beauftragt wurde, übernahm das Amt des Vorsitzenden 1989 Eberhard Delius. Am 8. Mai 1994 konnte das Historische Museum in dem umgebauten Gebäudekomplex der Spinnerei schließlich eröffnet werden.
Nachdem das Hauptgebäude des Bauernhausmuseums 1995 aufgrund eines technischen Defekts abgebrannt war, gründete der Verein zusammen mit der GAB (Gesellschaft für Arbeits- und Berufsförderung) eine gGmbH, unter deren Leitung der Wiederaufbau des Museums forciert wurde. Die Wiedereröffnung des Bauernhausmuseums - mit dem an die Ochsenheide versetzten Hof Möllering aus Rödinghausen als neuem Hauptgebäude - erfolgte am 28. August 1999. Zu dieser Zeit galt das Augenmerk des Vereins vor allem dem Ausgrabungsfeld an der Welle, wo die Bebauung eines nach dem Zweiten Weltkrieg als Parkplatz genutzten Geländes die Möglichkeit archäologischer Grabungen bot. Gemeinsam mit dem Amt für Bodendenkmalpflege konnte der Historische Verein letztlich die Durchführung einer auf zwei Jahr befristeten Grabung erwirken, deren Ergebnisse unter dem neuen, seit 2004 amtierenden Vorsitzenden Dr. Johannes Altenberend weiter ausgewertet wurden. 2019 wurde Prof. Dr. Ulrich Andermann zum Vorsitzenden gewählt.
Literatur
- Altenberend, Johannes, Forschen - Verstehen - Vermitteln. Zum 100. Jahresbericht des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravernsberg, in: 100. Jahresbericht des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg (2015), S. 7-20
- Erich Forwick, Ein Rückblick auf hundert Jahre. Zur Geschichte des "Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg", in: 70. Jahresbericht für die Grafschaft Ravensberg (1975/76), S. VII-XXV
- Vorstand des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg: 125 Jahre Historischer Verein für die Grafschaft Ravensberg. Ein Rückblick auf das letzte Vierteljahrhundert, in: 87. Jahresbericht des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg (2001), S. 7-11
- Landschaftsverband Westfalen-Lippe (Hrsg.): Internet-Portal "Westfälische Geschichte" (https://www.lwl.org/westfaelische-geschichte/portal/Internet/haupt.php?urlNeu=)
Hinweise zu Bestand und Verzeichnung
Die Unterlagen wurden vom Historischen Verein für die Grafschaft Ravensberg als Depositum abgegeben. Die grundlegende Verzeichnung des Bestands erfolgte im Februar 2013 (Verzeichnet, 27.2.2013), eine ergänzende tiefere Verzeichnung wurde zwischen Mai und September 2019 durchgeführt.
Der Bestand umfasst insgesamt 232 Verzeichnungseinheiten (bei einer Nummerierung bis 236; s.u.). Einen Schwerpunkt innerhalb der Unterlagen bildet der Schriftwechsel des Vereins, zu dem oftmals auch Manuskripte von Aufsätzen gehören, die zur Veröffentlichung in den Vereinspublikationen vorgesehen waren. Ebenso finden sich in dem Bestand Unterlagen zu vereinsinternen Arbeitsgemeinschaften und Projekten sowie Abschriften von Dokumenten aus Mittelalter und Früher Neuzeit.
Sechs Verzeichnungseinheiten des Bestandes (Nr. 47-58 u. Nr. 114-117) entstammen der Gruppe "Wandervogel" und haben keinerlei inhaltlichen Bezug zum Historischen Verein.
Inhaltliche Ergänzungen zur Geschichte des Historischen Vereins bilden die Nachlässe der ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Gustav Engel (Bestand 200,20), Rudolf Schrader (Bestand 200,65) und Hermann Tümpel (Bestand 200,72).
Die Nr. 44-46 wurden im Oktober 2012 in den neu gebildeten Bestand 270,33/Ravensberger Kunstgemeinde überführt und nicht neu belegt. Die Nr. 235 wurde im Oktober 2019 in den Bestand 100,1/Urkunden (Nr. 570) überführt und nicht neu belegt.
Benutzungshinweise:
- Archivalienbestellungen: 270,1/Historischer Verein für die Grafschaft Ravensberg, Nr.
- Zitation: Stadtarchiv Bielefeld oder StArchBI, Best. 270,1/Historischer Verein für die Grafschaft Ravensberg, Nr.
Andreas Vohwinkel M.A.
Archivar
Bielefeld, Oktober 2019
- Bestandssignatur
-
270,001/Hist. Verein Rav.
- Kontext
-
Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld (Archivtektonik) >> Nichtamtliches Schriftgut >> Vereine und Verbände
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- Letzte Aktualisierung
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05.11.2025, 14:00 MEZ
Datenpartner
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Objekttyp
- Bestand