Bestand

A Pr.Br.Rep. 106 Kinder-Rettungs-Verein (Berliner Stadtmission) (Bestand)

Vorwort: A Pr.Br.Rep. 106 - Kinder-Rettungs-Verein (Berliner Stadtmission)

1. Geschichte des Vereins

Die Anfänge des Kinderrettungsvereins gehen bis zum Oktober des Jahres 1904 zurück. Damals begann Pfarrer Wilhelm Pfeffer, der seit 1901 Vereinsgeistlicher für die Innere Mission in Berlin war, für die in der Charité geborenen unehelichen Kinder, die ihm als die hilfsbedürftigsten und am meisten gefährdeten erschienen, eine Berufsvormundschaft einzurichten. Um dieses christliche Werk der freien Wohlfahrt auf der breiten Basis einer guten Organisation durchführen zu können, gründete er ein halbes Jahr später den Kinderrettungsverein (E.V., anerkannt als Milde Stiftung). Am 16. März 1905 fand die erste Sitzung unter Pfarrer Pfeiffers Leitung statt. Mit einem Anfangskapital von 500 Mark, das von dem Generalsuperintendenten Lahusen zur Verfügung gestellt wurde und mit 201 Mündeln begann der Verein seine Arbeit.

Gemäß Satzung des Kinderrettungsvereins hatte der Verein folgende Aufgaben:
"Der Kinderrettungsverein hat den Zweck, unter Berücksichtigung der vorhandenen Einrichtungen allen Kinder Berlin, die ohne den Halt einer Familie sittlichen Gefahren ausgesetzt oder verfallen sind, beizustehen und ihnen die zu ihrer Pflege, Erziehung und Berufsbildung nötige Hilfe zu gewähren." (§ 1)
" Der Verein sieht die Erreichung dieses Zweckes in der Erfüllung folgender Aufgaben: a) einer geordneten Beaufsichtigung aller unehelichen Kinder (Berufsvormundschaft), b) einer zweckentsprechenden Unterbringung aller sittlich gefährdeten Kinder (Berufspflegschaft), c) einer erfolgreichen Ausführung der Fürsorgeerziehung und d) der Heranbildung von beruflichen und freiwilligen Helfern und Helferinnen." (§ 2)

Bald nach der Gründung erweiterte sich sein Tätigkeitsbereich zusehends: Vormundschaften für Waisen und Halbwaisen wurden übernommen; Bestands- und Pflegschaftssachen gehörten zu seinen Obliegenheiten; er wurde Unterhaltspfleger für Kinder, deren Väter sich nicht um sie kümmerten; er übernahm die Ausbildung männlicher Fürsorgezöglinge in besonders dafür eingerichteten Heimen bei Berlin (Vetschau und Luckenwalde) und nicht zuletzt vermittelte er jährlich zahlreiche Adoptionen. So wuchs die Zahl der betreuten Jugendlichen allmählich von 201 im Jahre 1905 auf 6000 im Jahre 1918 an.
Schwierigkeiten machte stets die Beschaffung der Geldmittel, die erforderlich waren, um die Hilfskräfte zu bezahlen; denn der Verein hatte von Anfang an Wert daraufgelegt, dass die Bearbeitung der Akten in den Händen von 4-10 Volljuristen lag. Ihnen zur Seite standen 4-12 ausgebildete Fürsorgerinnen und diverse Bürokräfte, deren Anzahl schwankte, je nach dem Auf und Ab in der Entwicklung des Vereins. Feste Zuschüsse seitens der Stadt- oder Kirchenverwaltung gab es auf Grund ihrer ablehnenden Haltung zunächst nicht. Der Verein war also ständig - auch als die Stadt Berlin einen festen Zuschuss gab, der jedoch nach 1919 wieder zurückgezogen wurde- auf Kollekten und freiwillige Beiträge und Spenden angewiesen, sowie auf Erträge aus Wohltätigkeitsveranstaltungen.
Diese ständigen wirtschaftlichen Sorgen waren mit einer der Gründe, dass der Kinderrettungsverein erst 5 Jahre nach seiner Gründung zu einem eigenen Vereinshause kam. Durch die Hilfe treuer Mitglieder konnte er 1910 das der Charité gegenüberliegende Haus in der Charitéstraße 2 kaufen und umbauen und war dort fast 30 Jahre tätig.
Mit Einführung des Jugendfürsorgegesetzes in Preußen 1918 schien das Ende selbständiger Arbeit in der freien Wohlfahrt und damit auch der Berufsvormundschaft gekommen zu sein. In den Jahren 1919-1920 mussten die meisten Mündel des Kinderrettungsvereins an die Jugendämter der Stadt Berlin überwiesen werden, sodass der Verein wie zur Zeit seiner Anfänge nur noch ca. 200 Jugendliche zu betreuen hatte. Die Einführung der gesetzlichen Amtsvormundschaft hatte zur Folge, dass Pastor Pfeiffer seine Arbeit als erledigt ansah. Er nahm die Stelle als Direktor des Rauhen Hauses in Hamburg an und siedelte im November 1920 dorthin. Für die verbliebene Arbeit des Vereins wurden in den kommenden Jahren ehrenamtlich tätige Einzelvormünder geschult. Landrichter Petersdorff war es, der in den damaligen Krisenjahren den Verein leitete.
1924 trat das Reichsjugendwohlfahrt-Gesetz in Kraft, das die Einrichtung von Jugendämtern für ganz Deutschland vorsah. Erstaunlicherweise erfolgte keine Auflösung des Vereins. Der Grund war darin zu suchen, dass die Jugendämter von sich aus und allein mit dem Problem der Jugendnot nicht fertig wurden. Sie wandten sich deshalb wiederholt an den Kinderrettungsverein, der ja reiche Erfahrungen während seines jahrzehntelangen Bestehens gewonnen hatte und dessen Tätigkeitsbereich im Verlauf der Jahre nicht auf Berlin beschränkt geblieben, sondern auf ganz Deutschland ausgedehnt war. Gerade der letzte Umstand erwies sich jetzt von besonderem Vorteil. Da der Kinderrettungsverein als Verein der freien Wohlfahrt nicht wie Jugendämter an die örtliche Zuständigkeit gebunden war, konnte er Vormundschaften auch behalten, wenn seine Mündel an andere Orte verzogen. Das erleichterte den Geschäftsgang und ersparte selbstverständlich Arbeit und Kosten. Weiterhin mochten seine 300 ehrenamtlich tätigen Mündelpflegerinnen und die 12 im Vereinshaus wohnenden Kandidaten und Studenten der Theologie, die dort in Wohlfahrtsarbeit ausgebildet wurden, dazu beitragen, dass die Jugendämter besonders schwierige Fälle lieber dem Kinderrettungsverein übertrugen, da von dieser Seite aus eine bessere und mehr individuelle Betreuung möglich war. Es folgten jedenfalls Jahre fruchtbarer und guter Zusammenarbeit mit den Jugendämtern. Durch die rasch ansteigende Zahl betreuter Jugendlicher musste sogar 1926 die Stelle des hauptamtlichen Direktors neu besetzt werden. Pastor Abramczyk übernahm jetzt die Leitung des Kinderrettungsvereines. Die Arbeitsleistungen des Vereins fanden zwei Jahre später ihre öffentliche Anerkennung dadurch, dass der Verein durch das Landesjugendamt Berlin 1928 das Recht zur Führung der befreiten Vereinsvormundschaft erhielt, d. h. es brauchte nicht mehr ein einzelner Vormund verpflichtet zu werden, sondern der Verein als solcher wurde direkt durch die Vormundschaftsgerichte verpflichtet. Im gleichen Jahr wurde dem Verein Anerkennung seiner Verdienste um Adoptionsvermittlungen die Geschäftsführung einer evangelischen Adoptionszentrale für Deutschland durch den Zentralausschuss für Innere Mission übertragen.

Bis 1933 war Pfarrer Abramczyk als geschäftsführender Direktor des Vereins tätig. Ihm folgte unter dem nationalsozialistischen System Pfarrer Bremer. In den ersten Jahren ließ man den Verein noch unbehelligt arbeiten. Im Zuge der Gleichschaltung vollzog sich jedoch auch die Auflösung des Kinderrettungsvereins. Vorsitzender des Komitees und des Vorstandes bis zur Vereinsauflösung war Konsistorialrat Pfarrer Themel. Wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten musste das Vereinshaus in der Charitéstraße 2 aufgegeben werden. Zur Abwicklung der Geschäfte zog man 1938 nach Berlin-Dahlem, Reichensteiner Weg 24 in das Gebäude des Zentralausschusses für Innere Mission und von dort 1939 nach Lichterfelde-West, Augustastraße 21/22. Die Auflösung des Vereins erfolgte im Jahre 1940, wo er in den Evangelischen Verband für Kinderpflege überführt wurde.

Das Landesarchiv Berlin erhielt die Akten in den 1955/1960er Jahren vom Hauptarchiv Dahlem.


2. Bestandsbeschreibung

Der Bestand umfasst 1354 Akten (19,00 lfm) mit einer Laufzeit 1892 - 1942 und enthält nur Personalakten der zu adoptierenden Fürsorgezöglinge.

Er ist über die Findmittel Datenbank und Findbuch nutzbar.

Während eine erste Erfassung der Akten bereits in den 1960er Jahren im Landesarchiv Berlin erfolgte, wurde anlässlich der Retrokonvertierung des Findbuches eine Neuverzeichnung der einzelnen Akten erforderlich, da mehrbändige Akten bisher nur unter eine Signatur erfasst waren und die Aktenlaufzeit unbekannt war. Die Archivangestellte Tatjana Kutar übernahm von März 2021 - Januar 2023 die Neusignierung und Erfassung weiterer Informationen der Akten.

Zahlreiche Akten sind auf Grund archivgesetzlicher Bestimmungen bzw. der EU-Datenschutz-Grundverordnung für die Benutzung befristet gesperrt. Eine Verkürzung der Schutzfristen kann auf Antrag erfolgen. Dazu bedarf es der besonderen Zustimmung des Landesarchivs Berlin.

Der Bestand ist wie folgt zu zitieren: LAB A Pr.Br.Rep. 106 Nr. ... .


3. Korrespondierende Bestände

A Pr.Br.Rep. 057 - Der Stadtpräsident der Reichshauptstadt Berlin
A Rep. 003-02 - Magistrat der Stadt Berlin, Wohlfahrtsdeputation/Landeswohlfahrts- und Jugendamt
A Rep. 060-29 - Verein zum Schutze der Kinder vor Ausbeutung und Misshandlung
A Rep. 339 - Landgericht Berlin
A Rep. 341-04 - Amtsgericht Berlin-Mitte - Nachlass- und Erbsachen / Adoptionen
A Rep. 343 - Amtsgericht Köpenick
A Rep. 345-05 - Amtsgericht Lichterfelde - Vormundschaften/ Pflegschaften


4. Literatur

Pfeiffer, Wilhelm: Helfende Hände in der Vormundschaft und Pflegschaft .- Gütersloh 1914. Signatur: 04379 (1).
25 Jahre an unserer Jugend : 1905-1930. Jubiläumsschrift des Kinder-Rettungs-Vereins hrsg. vom Kinder-Rettungs-Verein .- Berlin 1930. Signatur: Soz 1327 (1).


Berlin, März 2007 / Oktober 2023 Kerstin Bötticher

Reference number of holding
A Pr.Br.Rep. 106

Context
Landesarchiv Berlin (Archivtektonik) >> A Bestände vor 1945 >> A 7 Kammern und Körperschaften, Organisationen und Vereine >> A 7.3 Vereine und Verbände

Date of creation of holding
1903 - 1942

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22.08.2025, 11:21 AM CEST

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Object type

  • Bestand

Time of origin

  • 1903 - 1942

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