Kulturelles Erbe und Digitalisierung – Ein Beitrag von Hermann Parzinger in „Der Vergangenheit eine Zukunft – Kulturelles Erbe in der digitalen Welt“

Kulturelles Erbe und Digitalisierung – Ein Beitrag von Hermann Parzinger in der ersten Publikation der Deutschen Digitalen Bibliothek

22.07.2015

Die erste Publikation der Deutschen Digitalen Bibliothek „Der Vergangenheit eine Zukunft – Kulturelles Erbe in der digitalen Welt“ erschien im März 2015. Vorgestellt wurde sie an ihrem Erscheinungstag auf der Leipziger Buchmesse.

Mit Beiträgen unterschiedlicher Fachautoren thematisiert der von Paul Klimpel und Ellen Euler herausgegebene Sammelband Aufgaben und Rahmenbedingungen, denen sich Gedächtnisinstitutionen wie Museen, Bibliotheken oder Archive bei der Digitalisierung des kulturellen Erbes stellen.

Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, schreibt im ersten Teil der Publikation „Öffentliche Verantwortung, gesellschaftliche Aufgabe, privates Engagement“ über die Auswirkungen der Digitalisierung auf das kulturelle Erbe. Sein Aufsatz markiert den Anfang der Fachbeiträge in der Publikation.

Die Deutsche Digitale Bibliothek veröffentlicht sukzessive die einzelnen Beiträge ihrer Publikation auf der Webseite – sie können hier gelesen und kopiert werden. Das PDF steht außerdem als Download zur freien Verfügung bereit.

Denn eine Besonderheit des Bandes ist die Form seiner Veröffentlichung: Die Publikation ist als Buch und als E-Book erhältlich, zusätzlich sind jedoch alle Inhalte mit der Creative Commons Lizenz CC BY 4.0 International lizenziert und können somit bei Namensnennung nachgenutzt und weiterverwendet werden. Bereits jetzt ist das Buch auf der Verlagsseite im E-Reader vollständig einsehbar.

Auszüge der Bilderstrecke aus der Publikation haben wir bereits veröffentlicht, jetzt folgen schrittweise die einzelnen Fachbeiträge der Autoren.
 

Kulturelles Erbe und Digitalisierung

Hermann Parzinger

Auch in Kulturgut bewahrenden Einrichtungen wird der Arbeitsalltag mehr und mehr digital: Die Dokumentation der Sammlungen erfolgt immer häufiger in Datenbanken, Fotos werden digital produziert und gespeichert, Kommunikation im Museum, mit Kollegen, mit Personen und Einrichtungen außerhalb der Museen erfolgt per E-Mail, unter Nutzung von Social Media etc. Das Internet wird genutzt, um eigenes Wissen weiterzugeben, um sich in Plattformen auszutauschen und dezentral zusammenzuarbeiten.

Diese breitere Nutzung der neuen Technologien eröffnet den kulturgutbewahrenden Einrichtungen neue Chancen, birgt aber auch ein großes Maß an Herausforderungen.
Die Bundesregierung formuliert in ihrer „Digitalen Agenda 2014-2017“1 als Ziel:
 
„[…] Deutschland zu einem digitalen Kulturland weiter[zu]entwickeln. Dazu gilt es, ein qualitativ hochwertiges Angebot digitaler Inhalte zu sichern. Hierzu werden wir die Rahmenbedingungen für Inhalteanbieter weiter verbessern. Ferner treiben wir die Digitalisierung von Kulturgut weiter voran und verbessern die Zugänglichkeit zum kulturellen und wissenschaftlichen Erbe in Archiven, Bibliotheken und Museen.
 – Wir entwickeln eine übergreifende Strategie und Aktionspläne mit geeigneten technischen Lösungen und Standards zur Digitalisierung von Kulturgütern (u.a. Kino- und Filmdigitalisierung) sowie zur langfristigen Bewahrung von Wissen, Informationen und Kulturgütern in digitaler Form und schaffen die dafür notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen.
 – Wir stellen – soweit urheberrechtlich zulässig – digitalisierte Kulturgüter und deren Metadaten offen und möglichst unentgeltlich zur Verfügung.
 – Wir bauen die ‚Deutsche Digitale Bibliothek‘ weiter auf und aus.“2

 
Die Zugänglichmachung der von ihnen bewahrten Kulturgüter gehörte schon immer zu den zentralen Aufgaben der Kulturgut bewahrenden Einrichtungen. Dabei wurden und werden adäquate und moderne Vermittlungsformen genutzt. Diese Entwicklungen waren immer auch mit Diskussionen um diese neuen Vermittlungsformen verbunden. Sowohl die ersten gedruckten Ausstellungskataloge, die mit Fotografien bebildert wurden, wie auch die Einführung von Audioguides in Ausstellungen waren nicht unumstritten. Befürchtungen, dass die „Aura der Originals“ verloren ginge, dass in Folge der zusätzlichen Informationsquellen die Besucher auf den Weg in die Museen verzichten, die Nutzer der Bibliotheken ausbleiben würden, haben sich als unbegründet erwiesen. Es gibt sie beim Thema Digitalisierung und Online-Bereitstellung in gleicher Form wieder.

Digitalisierung als Chance

Die meisten Kultureinrichtungen haben begonnen, sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten der Herausforderung zu stellen und die Möglichkeiten einer zur Informationsgesellschaft gewandelten Gesellschaft zu nutzen, um einen möglichst breiten und weiten Zugang zu ihren Beständen zu geben. In der Vergangenheit war der Zugang zum kulturellen Erbe über Ausstellungsbesuche vor Ort, die Lektüre von gedruckten Ausstellungskatalogen oder die Betrachtung von analogen Abbildungen gegeben. Mit der Digitalisierung besteht nun erstmals die Möglichkeit über die bisherigen Angebote hinaus, zeit- und ortsunabhängig einen Zugang zu den kulturellen Beständen zu geben. Der bessere Zugang zu den Beständen und das Wissen darüber, was die Museen, Bibliotheken und Archive bewahren, führt tendenziell dazu, dass mehr Menschen in Bibliotheken und Museen gehen – durchgängig verzeichnen Museen und Bibliotheken steigende Nutzer- und Besuchszahlen.

Für den Bibliotheksbereich wurde der Nutzerwunsch nach mehr digitalen Angeboten belegt: für die öffentlichen Bibliotheken Berlins durch das Projekt „NuMoB – Nutzungsmonitoring für Bibliotheken“, dessen Ergebnisse im August 2014 vorgestellt wurden. 16 000 befragte Personen bestätigten die Notwendigkeit von Bibliotheken, sahen aber auch die digitalen Medien als wichtiges Angebot. Onlinerecherchen am Computerarbeitsplatz, freier Internetzugang per WLAN wird erwartet, auch E-Books zum Herunterladen werden stark nachgefragt.3 Eine entsprechend aktuelle Untersuchung steht für die anderen Kultursparten noch aus.

Der Nutzen des Traums vom uneingeschränkten und allumfassenden Zugang zu Wissen und Kultur ist nicht nur in gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Hinsicht groß. Auch aus restauratorischer Sicht sind hochwertige Digitalisate von Bedeutung. So werden die Originale durch die Zugänglichmachung von Digitalisaten vor übermäßiger Nutzung geschützt und entlastet. Die Originale können unter optimalen Lagerungsbedingungen in den Magazinen verbleiben, während weltweit auf die verhältnismäßig günstig zu erstellenden Digitalisate und die Metadaten der Originale zugegriffen werden kann. Durch die Nutzung moderner technischer Verfahren bei der Herstellung der Digitalisate entstehen neue, bislang nicht verfügbare Möglichkeiten der Nutzung und Erforschung. Damit entstehen Digitalisate, deren Nutzungsmöglichkeiten weit über die reiner bildgebender Präsentationen hinausgehen.

Ein Beispiel hierfür ist das Projekt „3D-Erfassung von historischen und zeitgenössischen Musikinstrumenten Südasiens in erweiterten Objektperspektiven“ im Ethnologischen Museum der Staatlichen Museen zu Berlin (siehe Abbildung 1). Dabei spielen 3D- und CT-Aufnahmen und die Erfassung vertiefender Informationen eine Schlüsselrolle. Diese Informationen und die Digitalisate können in diversen Nutzungsszenarien verwendet werden: Einerseits direkt durch den Benutzer an seinem PC, Laptop oder Smartphone in den jeweils angepassten Datei- und Auflösungsgrößen für die jeweiligen Nutzergruppen und Endgeräte optimiert. Anderseits können diese Informationen Gegenstand neuer Forschungs- und wissenschaftlicher Nutzungsansätze sein. Auf dieser Basis wird es möglich sein, Untersuchungen zu zeitlicher Einordnung über Materialbearbeitung, Kulturtechniken in der Nutzung (Patina, Spielspuren), ästhetischen Prinzipien und Handwerkstechniken vorzunehmen, die sonst nur mit aufwendigen Untersuchungen vor Ort möglich wären.

CT-Aufnahmen südasiatischer Musikinstrumente

CT-Aufnahmen südasiatischer Musikinstrumente Foto: Andreas Richter/ Ethnologisches Museum, Staatliche Museen zu Berlin

Kultureinrichtungen werden in ihrer Rolle als Vermittler und Sachwalter, aber auch Bewahrer dieser unwiederbringlichen, weil realen, Kulturschätze gestärkt. Unabhängig davon, ob es sich um Bibliotheken, Archive, Museen oder Denkmalämter handelt, eröffnen sich neue Möglichkeiten und stellen sich neue Aufgaben. Leider droht manchmal die Rolle des „Bewahrers“ in den Diskussionen und der Euphorie über das technisch möglich Erscheinende unterzugehen. Den Kultureinrichtungen fällt daher die manchmal undankbare Aufgabe zu, nicht nur dem Nutzer – im Rahmen der Möglichkeiten – alle für die Arbeit notwendigen und für das Verständnis des kulturellen Erbes förderlichen Informationen zu den bewahrten Kulturgütern zur Verfügung zu stellen, sondern auch zu vermitteln, warum gegebenenfalls Einschränkungen notwendig sind.

Viele Kultureinrichtungen haben sich auf den Weg gemacht, diese digitalen Werkzeuge und Vermittlungsformen zu nutzen und haben bereits erste Standards entwickelt beziehungsweise sind bereit, vorhandene Standards zu nutzen. Bei den Akteuren handelt es sich oftmals um die größeren oder sehr großen Einrichtungen der Kulturlandschaft, wie sie zum Beispiel im Kompetenznetzwerk der Deutschen Digitalen Bibliothek versammelt sind, unter anderem die Bayerische Staatsbibliothek, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, das Bundesarchiv, die Deutsche Nationalbibliothek oder das Deutsche Filminstitut. Das hat seine Ursache darin, dass in diesen großen Einrichtungen in der Regel die Handlungsspielräume größer sind als in kleinen Einrichtungen. Die unterschiedlichen Geschwindigkeiten in der Entwicklung, die Tatsache, dass einige Einrichtungen schneller, andere langsamer auf diesem Weg vorankommen, ist sowohl den unterschiedlichen Materialien, die unterschiedlich komplexe Verfahren der Digitalisierung benötigen, aber auch unterschiedlichen Rahmenbedingungen geschuldet. So können einige Materialarten wie bisher mit wenigen formalen Zusatzinformationen zu einem Scan und somit mit einem geringeren Aufwand für die Allgemeinheit nutzbar gemacht werden. Die bildgebenden Verfahren auf Grundlage von Digitalfotografie oder von für große Serien geeigneten Scanverfahren sind rein technisch und vom Arbeitsablauf gesehen keine große Herausforderung mehr.

Digitalisierung in der Staatsbibliothek zu Berlin

Digitalisierung in der Staatsbibliothek zu Berlin Foto: Christine Kösser / Staatsbibliothek zu Berlin

Digitalisate anderer Materialien benötigen komplexere Erschließungsinformationen oder die Kontextualisierung mit anderen Objekten, um für den Nutzer verständlich zu sein. Andere erzeugen bei der Digitalisierung große Datenmengen – wie zum Beispiel bei Filmen und 3D-Objekten. In einigen Regionen unseres Landes sind die vorhandenen Datenleitungen für ein entsprechendes Angebot noch nicht geeignet und in den seltensten Fällen sind in den kleineren kulturellen Einrichtungen die technischen Rahmenbedingungen für die Erstellung entsprechender Digitalisate vorhanden.

Zusätzlich bestehen nach wie vor rechtliche Rahmenbedingungen, die auf den ersten Blick für den Nutzer nicht verständliche Hemmnisse bilden. So ist es nach wie vor aus rechtlichen Gründen leichter, Objekte zu präsentieren, deren digitale Abbildungen mittels Scanverfahren erzeugt werden, als digitale Abbildungen, die direkt oder indirekt auf fotografischen Verfahren oder auf der Digitalisierung ganzer Filmsequenzen basieren.

Des besonderen Schutzes bedürfen Objekte, die nicht in den Kultureinrichtungen selbst verwahrt werden können. Ausgrabungsstätten und deren Position können nicht immer und in jedem Falle der Öffentlichkeit bekannt gegeben oder dauerhaft zugänglich gemacht werden. Nach erfolgter Arbeit verbleiben sie vor Ort, werden unter Umständen durch Bauarbeiten zerstört, überbaut oder – im besten Fall – bis zu späteren Aufarbeitungen wieder zugeschüttet. Sie sind somit zwar nicht mehr zugänglich, aber auch ungeschützt vor unberechtigtem Zugriff. In diesen Fällen sind entsprechend bearbeitete Grabungsdokumentationen (gegebenenfalls ohne exakte Koordinaten) und die digitalisierte Dokumentation alles, was der Öffentlichkeit und anderen Forschern zur Verfügung gestellt werden kann. Aufgrund der Datenmenge, den oben beschriebenen Besonderheiten und den zu erfassenden Metadaten handelt es sich um sehr komplexe und aufwendige Verfahren der Digitalisierung, die weit über die reine Bildgebung hinausgehen. So setzt das Landesamt für Archäologie Sachsen bei Ausgrabungen in Plauen einen sogenannten Archäocopter ein. Dieses Gerät macht nicht nur Bilder, es errechnet und übermittelt auch Daten für die Erstellung von 3D-Modellen der Ausgrabungsstätte.

Archäocopter-Einsatz in Plauen

Archäocopter-Einsatz in Plauen Foto: Landesamt für Archäologie Sachsen

Folgen der Digitalisierung für Kultureinrichtungen

Für die Kultureinrichtungen bleibt diese Entwicklung bei internen Abläufen und Aufgabengewichtungen nicht ohne Folgen. Ohne Vorbereitung und ohne die Schaffung der Grundlagen ist die Bereitstellung von Digitalisaten und den dazugehörigen Objektinformationen nicht zu realisieren. Selbstverständlich sind in den Museen, Archiven, Bibliotheken und Denkmalämtern viele Informationen über die verwahrten Kulturgüter verfügbar. Aber längst sind noch nicht alle Informationen in Datenbanken eingepflegt; nach wie vor sind handgeschriebene Karteikarten unerlässlicher Bestandteil der Dokumentation. Viele der verfügbaren Digitalisate sind für den Arbeitseinsatz und nicht für die öffentliche Präsentation im Internet erstellt. Bildverwaltung, Qualitätsanforderungen der elektronischen Repräsentationen sowie die Rechteklärung sind nicht für diesen Verwendungszweck ausgelegt. So stammt ein großer Teil der Abbildungen aus Zeiten, in denen die Online-Nutzung nicht vorgesehen war und aus diesem Grunde die rechtlichen Rahmenbedingungen nicht geschaffen werden konnten. Dokumentarische Werkzeuge und Abläufe sind nach wie vor darauf optimiert, die schiere Menge der Objekten und Archiveinheiten für die interne Verwendung nutzbar zu machen.

Eine Online-Verfügbarmachung stellt umfassendere, arbeitsintensivere Anforderungen an die Erschließung. Die verwendeten Fachvokabulare müssen mit Bezeichnungen ergänzt werden, die für Laien verständlich sind. Dies geschah bislang nur im Vorfeld von Ausstellungen. Es bedarf des Aufbaus von Publikationsplattformen, in denen die Einrichtungen ihre Bestände präsentieren und verfügbar machen können.

Ohne überzeugende Strategien zur Bewahrung digitaler Objekte – auch für die Langzeitbewahrung von komplexen digitalen Objekten – besteht die Gefahr, dass die Digitalisate innerhalb von zehn bis fünfzehn Jahren nicht mehr nutzbar und ein Großteil der Daten verloren sind.

Alle diese Aufgaben sind dabei nicht nur von den und für die großen Einrichtungen zu lösen, sondern betreffen den Großteil der Kultureinrichtungen. Es bedarf somit der Lösungsansätze, die auch und vor allem den kleinen und mittleren Bibliotheken, Archiven und Museen zur Verfügung stehen. Diverse Initiativen und Projekte wie „Museum digital“4, „digiCULT"5, „Archive in Nordrhein-Westfalen“6 widmen sich diesen Themen. Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, flächendeckend die Kultureinrichtungen zu unterstützen. Allein der Umfang des zu digitalisierenden Materials ist beeindruckend: In deutschen Kultureinrichtungen sind zum Beispiel mehr als 500 Millionen historische Fotografien vorhanden.7

Digitalisierung als Kernaufgabe der Kultureinrichtungen

All diese Objekte müssen nicht nur digitalisiert, sondern auch erschlossen werden. Zusätzlich zur Objektverwaltung kommt die Bereitstellung von Objektdaten für die Online-Präsentation und deren inhaltliche Aufbereitung hinzu – in viel größerem Umfang als es bislang für die in Ausstellungen gezeigten Objekte nötig war. Denn mit der Möglichkeit der Online-Publikation entsteht die Chance, das sichtbar zu machen, was nicht in den Ausstellungen gezeigt werden kann, sondern in Depots verwahrt wird. In der Regel müssen jedoch die Digitalisate – die elektronischen Repräsentationen der Objekte – erst erzeugt werden und die Online-Plattform muss betreut werden. Dabei wandeln sich die Erwartungen der Besucher kontinuierlich: Was sollen die Kultureinrichtungen im Informationszeitalter anbieten, welche Kanäle sollen sie nutzen, in welchen Zeiträumen arbeiten? Man erwartet heute alles im Netz zu finden, in hoher Abbildungsqualität, optimiert für jede Art von Endgerät, möglichst nicht nur als Bild, sondern auch im Video oder als 3-D-Objekt – je leistungsstärker die Datenleitungen bei den Nutzern werden, desto höher sind die Erwartungen.

Neben der Publikation der Information zu den Beständen besteht mehr und mehr die Notwendigkeit diese mit den Beständen anderer Kultureinrichtungen zu vernetzen, damit sie von allen Interessierten gefunden werden können. Hierzu werden thematische, regionale und nationale Zugänge wie die Deutsche Digitale Bibliothek und die europäische Plattform Europeana aufgebaut. Um sich hieran beteiligen zu können, müssen sich die Beteiligten auf gemeinsame Standards einigen und diese für ihre eigenen Einrichtungen implementieren und ausbauen.

Die Veröffentlichung von Objektinformationen hat jedoch weitreichende Folgen. Eine Vielzahl von rechtlichen Aspekten (Bildrechte, Namensnennungsrechte, Übereignungsauflagen) sind zu berücksichtigen. Hinzu kommen finanzielle Aspekte wie fällige Entgelte an Rechteinhaber im Falle der Publikation. Diese Themen sind, zumindest für Museen, kein unbekanntes Terrain, werden sie doch bei jeder Ausstellung akut. Es ändert sich jedoch die Dimension, wenn zum Beispiel große Teile der Datenbank online frei verfügbar gemacht werden sollen.

Die Kultureinrichtungen müssen hierfür eine Strategie entwickeln

Eine Digitalisierungsstrategie – wie sie etwa für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) und für ihre Einrichtungen erstmalig am 13. Oktober 2010 für den Zeitraum von 2011 bis 2015 veröffentlicht wurde und 2014 überarbeitet wird – ist im Prinzip für jede Einrichtung erforderlich.

Die SPK beispielsweise hat in den Digitalisierungsvorhaben ihrer Einrichtungen den Fokus auf solche Bestände gelegt,
 
„die herausragend, einmalig, von besonderem Interesse für die Forschung sind oder aus anderen Gründen nationale oder internationale Bedeutung haben. Innerhalb dieser Vorgaben hat jede Einrichtung definiert, welche ihrer Bestände vorrangig digitalisiert werden sollen. Dabei wird der Umgang mit unterschiedlichsten Objektarten und Materialien berücksichtigt. Bei sämtlichen Digitalisierungsvorhaben in der Stiftung werden die jeweiligen Standards für Bibliotheken, Museen und Archive beachtet. Dies ermöglicht einen problemlosen Austausch der Digitalisate und Daten innerhalb der Stiftung. Es vereinfacht zudem deren Übernahme in Internetportale. Für die Digitalisierung von Schriftgut sind bei der Stiftung die Praxisregeln „Digitalisierung“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) verbindlich.“8
 
Als öffentliche Kultur- und Forschungseinrichtung hat die SPK festgelegt, dass alle ihre digitalen Bestände, an denen keine Rechte Dritter bestehen, für die nicht-kommerzielle Nutzung kostenfrei zur Verfügung stehen.

Fazit

Auch wenn man die Entwicklung der „Digitalisierung“ und „Portalisierung“ noch nicht als Schlusspunkt der Präsentation und digitalen Repräsentation von Kulturgut hält, so ist sie doch Realität und Ausdruck der Entwicklung der Informationsgesellschaft. Sie kann ein Baustein sein für das gesteigerte Interesse der Internetnutzer an Partizipation und den Wandel in unserer Informationslandschaft. Die Handlungsmöglichkeiten und das Nutzungsverhalten der Internetnutzer machen deutlich, dass eine einfache, schlanke Homepage mit der Aussage „Wir sind hier und so kommen Sie zu uns.“ heute nicht mehr genügt.

Immer deutlicher wird, dass der Aufbau von Spezialangeboten, die geschlossenen Benutzerkreisen vorbehalten sind, nicht ausreicht. Die Online-Enzyklopädie Wikipedia ist ein Beispiel dafür, welches Potential in Teilen der Nutzergemeinschaft des Webs besteht, und zeigt das Interesse und die Bereitschaft, selbst aktiv an der Erarbeitung, dem Ausbau und der Positionierung von Information teilzunehmen.

Informationen auf diese Weise zur Verfügung zu stellen, ist ein wichtiger Meilenstein bei der Bereitstellung des kulturellen Erbes für die Forschung sowie für die breite Öffentlichkeit. Dies garantiert aber nicht immer – und auch nicht in der für wissenschaftliches Arbeiten erforderlichen Erschließungstiefe – die Vertrauenswürdigkeit und damit Zitierfähigkeit dieser Information. Wie sich diese Entwicklungen weiter auf die Wissens- und die Kulturlandschaft auswirken werden, kann zu diesem Zeitpunkt nicht abschließend beurteilt werden. Aber wir wollen es dennoch wissen: Eine wissenschaftliche Untersuchung des Prozesses der Digitalisierung, der Folgen, Chancen und Strukturveränderungen für die Gesellschaft, der Wissenserschließung und -vermittlung, der Kulturvermittlung und deren Präsentation erfolgt beispielsweise im von der EU kofinanzierten Projekt RICHES (Renewal, Innovation and Change: Heritage and European Society), an dem das Institut für Museumsforschung für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz beteiligt ist.9

Der Aufwand, der mit der Bereitstellung des kulturellen Erbes im Internet für die Einrichtungen, die Kulturgut bewahren, zweifellos verbunden ist, wird durch zahlreiche, zum Teil ganz konkrete Vorteile und Mehrwerte mehr als aufgewogen. Zu allererst durch einen Umstand, auf den man eigentlich erst mittelbar stößt: Es ist der Zwang, sich seine Sammlung, deren Dokumentation und Erschließungstiefe, Korrektheit und Aktualität einmal konkret vorzunehmen. Diese Auseinandersetzung ist, wenn man den Prozess ernst nimmt, schon von unschätzbarem Wert. Dazu kommt, dass das Internet heutzutage die zeitgemäße Kommunikationsform darstellt, die – unabhängig von der (aufwendigeren) Möglichkeit des Zugangs zum Original – einen weltweiten Zugriff auf das Abbild und die beschreibenden Erschließungsdaten ermöglicht. Daraus resultiert eine bislang unbekannte Transparenz von Beständen. Sodann schafft die Online-Verfügbarkeit eine erhöhte Sichtbarkeit der Objekte und der Einrichtungen, die die Sammlungen bewahren. Eine weitere Auswirkung ist die aktive Einbeziehung der Internetnutzer – Wissenschaftler wie Laien – in die institutionelle Arbeit: Das schafft positive Effekte, die irgendwo zwischen Outsourcing, Crowdsourcing und Expertsourcing liegen, zwischen Sammeln von Quellenmaterial, Quellinformationen und Wissen – sie dient damit der Wissenserweiterung. Dies alles ermöglicht neben dem Zugang zur interessierten Öffentlichkeit und Forschung, also dem nicht-kommerziellen Sektor, zuletzt auch neue Vermarktungsmöglichkeiten, etwa durch die Bereitstellung von hochwertigem, kostenpflichtigem Bildmaterial für kommerzielle Zwecke.

Auch in der digitalen Welt verliert das Original – das originale Kulturgut – seine Bedeutung nicht.
 


[1]  Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, Bundesministerium des Innern, Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (Hrsg.): Digitale Agenda 2014 – 2017. August 2014, S. 19.
[2]  Ebd., S. 29.
[3]  Vgl. die Webseite Numob – Nutzermonitoring in Bibliotheken, Ergebnisse unter http://numobberlin.wordpress.com/ (Letzter Aufruf 20.09.2014)
[4]  Im Internet unter http://www.museum-digital.de/ (Letzter Aufruf: 19.09.2014).
[5]  Im Internet unter http://www.digicult-verbund.de/ (Letzter Aufruf: 19.09.2014).
[6]  Im Internet unter http://www.archive.nrw.de/ (Letzter Aufruf: 19.09.2014).
[7]  Fotoerbe.de weist 151 678 302 Fotografien aus 1236 Institutionen nach.
[8]  Vgl. Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Digitalisierungsstrategie der Stiftung in inhaltliche Prioritäten 2011 – 2015, http://www.preussischer-kulturbesitz.de/schwerpunkte/digitalisierung/digitalisierungsstrategie.html (Letzter Aufruf: 19.09.2014).
[9]  Vgl. RICHES, http://www.riches-project.eu/ (Letzter Aufruf: 01.07.2014).

Zum Autor

Prof. Dr. Dr. hc. mult. Hermann Parzinger ist seit 2008 Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Studium der Vor- und Frühgeschichte (Prähistorische Archäologie), der Provinzialrömischen Archäologie und Mittelalterlichen Geschichte in München, Saarbrücken und Ljubljana, Promotion 1985, Habilitation 1990. 1990 Berufung zum stellvertretenden Direktor der Römisch-Germanischen Kommission des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI). 1995-2003 Gründungsdirektor der Eurasien-Abteilung des DAI, 2003-2008 Präsident des DAI. Ausgrabungen und archäologische Forschungsprojekte in Sibirien, Kasachstan, Usbekistan, Tadschikistan und Iran. Bedeutende Ehrungen und Preise: 1998 Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), 2009 Verleihung des „Ordens der Freundschaft“ durch den russischen Staatspräsidenten, 2011 Wahl in den Orden Pour le mérite für Wissenschaften und Künste. Mitglied u.a. in der British Academy, in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und in der American Philosophical Society, Sprecher des Deutsch-Russischen Museumsdialogs und Co-Vorsitzender der Arbeitsgruppe Kultur des Petersburger Dialogs.
 

 
Links und Downloads

Kulturelles Erbe und Digitalisierung, Hermann Parzinger (PDF)
Erläuterung der Lizenz: CC BY 4.0 International
Namensnennung: Hermann Parzinger: Kulturelles Erbe und Digitalisierung, in: Der Vergangenheit eine Zukunft - Kulturelles Erbe in der digitalen Welt, eine Publikation der Deutschen Digitalen Bibliothek, hrsgg. von Paul Klimpel und Ellen Euler, iRights Media: Berlin 2015, Seite 21 - 31. CC BY 4.0 International

Die Bilderstrecke der Publikation: Die Bilder der Digitalisierung - "Der Vergangenheit eine Zukunft - Kulturelles Erbe in der digitalen Welt"

Gespräch mit den Herausgebern Ellen Euler und Paul Klimpel zum Erscheinen der Publikation: "Der Vergangenheit eine Zukunft - Kulturelles Erbe in der digitalen Welt": Die erste Publikation der Deutschen Digitalen Bibliothek

Präsentation der Publikation auf der Leipziger Buchmesse: Die erste Publikation, viele Gespräche und ein besonderer Jutebeutel: Die Leipziger Buchmesse

 

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