Finden ohne Suche: Ein Interview mit George Oates

Finden ohne Suche: Ein Interview mit George Oates

02.04.2015

 

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Vom 11. bis 13. Februar fand die EuropeanaTech-Konferenz in der französischen Nationalbibliothek in Paris statt. Im Laufe dieser zwei Tage interviewte Joris Pekel, der Community Coordinator für kulturelles Erbe von Europeana, eine Reihe von Referenten, die an der Konferenz teilnahmen, um mehr über ihre Arbeit und ihre Vision für die Zukunft des digitalen Kulturerbes zu erfahren. Erstmals in dieser Serie sprach er mit Seb Chan, dem Direktor des Bereichs Digital & Emerging Technologies des Cooper Hewitt Smithsonian Design Museums, und mit Dan Cohen, dem Geschäftsführer der Digital Public Library of America (DPLA). Hier spricht er mit George Oates, die kürzlich ihr eigenes Unternehmen Good, Form & Spectacle gegründet hat. Vorher arbeitete sie für das Internet Archive und ist die Gründerin von Flickr Commons.

Hallo George, danke, dass Sie hier zu uns nach Paris gekommen sind.

Gern geschehen.

Wie geht es Ihnen und was steht derzeit bei Ihnen an?

Es geht mir gut! Ich bin vor einigen Monaten nach London gezogen und habe ein neues Unternehmen gegründet. Es heißt Good, Form & Spectacle und ist ein winzig kleines Designstudio. Ich versuche, mir ein wenig Zeit zu nehmen, um an Projekten zu arbeiten, an denen ich wirklich arbeiten möchte, anstatt es nur auf die Kunden abzusehen. Wir haben bereits eine Reihe von Versuchsprojekten durchgeführt und sind gerade dabei, unsere Ausrichtung zu finden. Es ist wichtig zu erwähnen, dass ich eine Flagge in den Sand gesteckt und gesagt habe, dass ich ganz wild auf Kulturerbe bin und gern meine Kenntnisse über Design und Software in diesen Bereich einbringen würde.

 

George Oates auf der Europeana Tech. Von Europeana. (CC BY SA)

                                              George Oates auf der Europeana Tech. Von Europeana. (CC BY SA)

Cool. Also, ich vermute, dass die meisten Leute, oder zumindest ich, Sie durch die Arbeit kennen, die Sie bei Flickr und Flickr Commons getan haben. Welche Aufgabe hatten Sie dort und was werden Sie in Ihrem neuen Unternehmen tun?

Ich habe bei Flickr angefangen, bevor es Flickr wurde, und habe dort von 2004 bis 2008 als Chefdesigner gearbeitet. Im Jahr 2008 habe ich das Programm The Commons geschaffen und hatte ein Jahr lang viel Spaß dabei, das Programm zu entwickeln und mich um die Beteiligung von etwa 35 internationalen Einrichtungen zu bemühen.

Im Grunde habe ich in den letzten 10 Jahren versucht, Benutzerschnittstellen für riesige Inhaltsmengen, gewaltige Content-Repositories zu designen. Hier in Paris und auf der EuropeanaTech, fühlt es sich an, als läge ein großer Fokus auf das Hin- und Herschieben von Daten im Internet. Dies ist sehr nützliche, grundlegende Arbeit, aber ich möchte mich darauf konzentrieren, wie normale Menschen Inhalte sehen. Und zwar nicht nur die Menschen da draußen in der Welt, sondern auch die Mitarbeiter einer Einrichtung. Jeder muss sich gewissermaßen seinen Weg durch diese fürchterlichen Suchschnittstellen bahnen, die in gewisser Weise unlesbar sind. Wenn Sie an eine tolle Sammlung von Kulturerbe denken und Ihre erste Anlaufstelle ein Suchfeld ist, ist das einfach nur tragisch. Deshalb möchte ich herausfinden, welche Arten von Schnittstellen, an die wir bisher noch gar nicht gedacht haben, wir nutzen könnten, wenn wir wissen, mit welchen Inhalten wir es zu tun haben. Dinge wie Google sind gut, wenn Sie überall nach allem suchen wollen, aber in unserer Welt wissen wir, um welche Art von Inhalt es geht, also sollten wir diesem Inhalt und dem Design drum herum ein wenig Aufmerksamkeit schenken.

Richtig, also wir bei Europeana haben im letzten Monat die Marke von 40 Millionen Datensätzen erreicht, was für unser Netzwerk ein großartiger Erfolg ist. Zugleich ist dies eine massive Anzahl und es ist sehr schwierig für einen normalen Benutzer, über ein Suchfeld durch eine solch große Menge zu navigieren. Wie schaffen Sie es, trotz des Wunsches „wir wollen alles verfügbar machen“ ein solches Gleichgewicht zu schaffen, dass nicht das Problem entsteht, dass die Benutzer überfordert werden?

Als ich mit Flickr Commons im Jahr 2008 startete, gab ich den ersten Mitwirkenden den Rat, ihr Erstangebot wirklich klein zu halten. Wir arbeiteten zunächst mit der Library of Congress und Helena Zinkham, der Leiterin des Bereichs Drucke und Fotografien, zusammen und wählten zwei tolle Sammlungen aus, mit denen wir begannen und von denen sie wusste, dass sie der Öffentlichkeit gefallen würden. Der erste Upload umfasste etwa 500 Bilder, was leicht konsumierbar ist. Man könnte sich buchstäblich eine Stunde lang hinsetzen und sich alle ansehen, was meiner Meinung nach großartig ist. Seit Kurzem dominieren angesichts Veröffentlichungen der British Library und des Internet Archive, die jeweils mit einer Million Bildern für Aufsehen sorgten, nun diese Bilder die Ansicht. Wenn Sie jetzt auf Commons suchen, sehen Sie all diese Illustrationen und Materialien aus Büchern. So sehr ich es toll finde, dass die Inhalte geteilt werden, erzeugt dies auch das von Ihnen erwähnte Problem.

 

Eine Folie aus George Oates' Abschlussvortrag auf der EuropeanaTech 2015 auf der der V&A Spelunker gezeigt wird. Von George Oates.

Eine Folie aus George Oates' Abschlussvortrag auf der EuropeanaTech 2015 auf der der V&A Spelunker gezeigt wird. Von George Oates.

Also vermute ich, dass Sie, je nachdem, wer Ihr Benutzer ist, neue Wege finden müssen, um bestimmte Inhalte ans Tageslicht zu holen?

Nun, ich denke, das hängt vom Inhalt ab. Das bietet die Chance, wieder an die eigene Sammlung zu denken und daran, wie man sie online sieht, und zwar auf andere Weise als in einer Liste geordneter Suchergebnisse. Wir sind mittlerweile recht gut darin geworden, Daten herumzureichen. Sie haben 40 Millionen Datensätze in wie vielen Jahren angesammelt?

In fünf Jahren, aber die Mehrzahl in den letzten zwei.

Richtig, das ist toll, aber ich hätte es gerne, dass sich die Informatik- und Technikleute einen Moment Zeit nehmen und versuchen, ihre Informationen besser und richtiger zu machen, und einfach ein wenig darüber nachdenken. Schauen Sie sich die Inhalte noch einmal an und denken Sie darüber nach, wie die Menschen sie tatsächlich benutzen. Können Sie das sehen? Und wie sehen Sie das? Unterdessen werden diese Riesen-Aggregatoren noch immer verwendet und sind auch für alle möglichen Dinge nützlich, aber vielleicht ist es an der Zeit, sich wieder auf seine eigenen Inhalte zu konzentrieren und den Menschen dabei zu helfen, die Dinge zu finden, die sie mögen. Das wird im Bereich der Physik so extrem gut gemacht, aber wir sind online noch nicht ganz so weit.

Ich denke, das führt auf das Gespräch zurück, das ich in dieser Woche ganz häufig geführt habe. Und zwar über das Gleichgewicht zwischen der Frage, ob man veröffentlicht, was immer man veröffentlichen kann, und es anderen Leuten überlässt, sich Wege auszudenken, wie man das Beste daraus machen kann, oder ob man besser kuratierte Sätze veröffentlichen sollte, die besser zum Bedarf der Benutzer passen. Und, wenn ja, wer entscheidet darüber, wer die Benutzer sind und was sie brauchen?

Ja, genau. Ich habe zum Beispiel gehört, wie einige Leute über ihre Projekte sprachen und gesagt haben, dass das, was sie machen, entweder für einige Forscher oder für die breite Öffentlichkeit ist. Das sind keine Benutzergruppen. Das ist eine klare Botschaft an mich, die besagt, dass diese Leute keine Ahnung haben, wer ihr Material verwendet. Man muss diese Brücke schlagen. Man muss sagen, okay, vielleicht sollte ich tatsächlich mit einigen meiner Forscher, die meine Inhalte nutzen, sprechen und mich zu ihnen setzen, während sie meine Suchfunktion nutzen. Ihnen zuhören. Vielleicht könnten wir intern auch damit beginnen, Möglichkeiten zu finden, Bilder unseres Katalogs zu zeichnen, die uns dabei helfen, uns selbst darüber zu informieren. Ich finde es bei einer physischen Sammlung zum Beispiel toll, wenn eine Archivistin in ihrer eigenen Sammlung etwas entdeckt, von dem sie gar nicht wusste, dass es sich darin befindet. Ich frage mich, ob wir diese Art von Gefühl intern mit Software-Tools gewissermaßen nachbilden können, damit die Leute wissen, welche Inhalte sie tatsächlich haben, und diese dann besser gestalten können – und sich nicht so sehr auf die Suche verlassen müssen.

Ich glaube das entspricht sehr der Richtung, in die sich Europeana derzeit bewegen. Indem die Daten über die API bereitgestellt werden, können Sie die Daten herausziehen, die Sie für Ihren Fall haben möchten. Aber damit ein Benutzer oder Programmierer das tun kann, müssen die Daten eine bestimmte Qualität haben. Mit dem einfachen Kopieren Ihrer internen Datenbank ins Internet ist es nicht getan. Welche Maßnahmen sollte eine Einrichtung Ihrer Meinung nach ergreifen, um es richtig zu machen?

Ich weiß nicht, wie ich es freundlich ausdrücken soll, aber kulturelle Einrichtungen sind selten auf dem neuesten Stand der Technik. Die Arbeit, die Seb Chan und sein Team am Cooper Hewitt gelungen ist, ist meiner Meinung nach einer der ersten Fälle weltweit, in denen es richtig gemacht wurde. Sie haben eine Einrichtung geschaffen, die mit beiden digitalen Füßen fest auf dem Boden steht.

Bei einem Großteil dieser Arbeit geht es um Präzedenzfälle. Es geht darum, jemanden zu finden, der tolle Arbeit leistet, und ihn nachzuahmen. Für mich geht das alles zurück auf die Nutzung, also worüber wir schon gesprochen haben. Wenn Sie nicht wissen, wie Ihr Material genutzt wird, oder wer es nutzt, oder wann es genutzt wird, bleiben Sie in einem schwarzen Loch. Sogar, wenn Sie Ihr Material online stellen. Vielleicht ist das der Ansatz, wo das Frontend-Element und das Verstehen, wie Dinge genutzt werden, nützlich sein können. Sie könnten einfach versuchen, einige der Techniken anzuwenden, die Designer nutzen, um die Leute zu verstehen, mit denen sie zusammenarbeiten. Also mit den Menschen sprechen, Dinge herausfinden und natürlich Dinge messen.

Also, ja, Präzedenzfälle und der Versuch, etwas über Design zu lernen, könnten nützlich sein, aber ich sage das, weil ich Designerin bin! Ingenieure verfügen heutzutage im Internet über riesige Praxisgemeinden, und Europeana versucht offensichtlich, das zu fördern. Es liegt also an Ihnen, in Ihrer Position über bewährte Praktiken zu sprechen und Tools aufzuzeigen, die Ihrer Meinung nach gut sind. Und noch einmal, es geht nicht nur darum, alle Tools aufzuzeigen, sondern auch darum, darauf hinzuweisen, dass dieses bestimmte Tool eins ist, das ich für meinen Zweck nutzen sollten. Übersichten wie diese müssen also designt und bearbeitet werden. Sie müssen die Richtung vorgeben, anstatt nur ein großes Buffet zu präsentieren.

 

George Oates mit Seb Chan auf der Europeana Tech. Von Europeana. (CC BY SA)

                                              George Oates mit Seb Chan auf der Europeana Tech. Von Europeana. (CC BY SA)

Glauben Sie, dass Eichrichtungen aufgeschlossener gegenüber dieser Art von Richtungsweisung werden? Denn es erfordert einiges Umdenken, sich mit der Tatsache abzufinden, dass man nicht mehr alles in der eigenen Sammlung bzw. die Art und Weise, wie es genutzt wird, kontrolliert.

Ja, absolut. Und auf jeden Fall ist der Rest der Welt deutlich offener, wenn auch interessanterweise vielleicht einige große Unternehmen wie Netflix ihre öffentlichen APIs offensichtlich aufgrund von Bereitstellungsproblemen zurückziehen. Ich denke, es ist wichtig, die Einrichtungen immer wieder daran zu erinnern, dass ihnen das kanonische Exemplar gehört, während ihre Datensätze und Inhalte auf freier Wildbahn unterwegs sind. Das ist keine Lese-/Schreibsituation. Es ist nicht so, dass Sie Ihre tatsächlichen Tresorräume öffnen würden. Sie können da entspannt herangehen und herumexperimentieren. Exportieren Sie eine Auswahl Ihrer Datenbank, von der Sie wissen, dass sie interessant ist, und zu der keine urheberrechtlichen Beschränkungen vorliegen, und schieben Sie sie ins Internet. Danach geht es nur noch darum, laut zu verkünden, dass das Material für die Leute verfügbar ist, vielleicht eine Veranstaltung in der Einrichtung auszurichten und dann abzuwarten, was passiert.

Ich glaube, dass viele dieser Ängste so behandelt werden können, wie wir normale menschliche Ängste behandeln. Durch Unterstützung und Ermutigung zu dem, was sie tun. Und ich glaube, dass Sie in Ihrer Rolle als Europeana viel tun können, indem Sie sagen, „das ist wirklich toll“, und ihre Bemühungen mit dem Rest der Welt teilen.

Toll! Nun haben Sie also an der EuropeanaTech teilgenommen ... Was ist das Wichtigste, das Sie mit nach Hause nehmen?

Ich habe mich sehr gefreut, dass die Gedanken vieler Leute aus anderen Bereichen, wie zum Beispiel von Forschern, sehr stark mit dem im Einklang sind, womit ich mich derzeit befasse. Zum Beispiel Aki [Akihiko Takano, National Institute of Informatics in Japan], der an der assoziativen Suche arbeitet. Mir gefällt der Ton, der angeschlagen wird: Ein Suchfeld ist nicht die beste Möglichkeit, um sich in dieser Art von Inhalten zurechtzufinden. Und das werde ich in meinem Vortrag heute Nachmittag genauer erläutern. Suchfelder sind unlesbar. Sie bieten Ihnen keinerlei Maßstab oder Führung. Und darin sind Kulturerbe-Einrichtungen so gut. Sie sind am besten darin, den Menschen bewusst zu machen, welches Gemälde oder Buch oder was auch immer sie sich ansehen sollten. Ich freue mich sehr zu hören, dass echte Zweifel an der Macht der Suche oder zumindest an ihrer Eignung als Standardschnittstelle zu kulturellen Sammlungen bestehen.

Hervorragend. Damit würde ich gerne schließen. Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mit mir zu sprechen. Machen Sie weiter so!

Ich danke Ihnen auch..

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Autor: Joris Pekel
Text: CC BY-SA