Wir sind die DDB: Das Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde in Dresden

Das Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde (ISGV) wurde 1997 durch einen Beschluss des Sächsischen Landtags gegründet. Als Forschungsinstitut, das die Disziplinen Volkskunde/Kulturanthropologie und Landesgeschichte vertritt, hat es den Auftrag, die sächsische Geschichte in ihren historischen Räumen sowie in kulturwissenschaftlicher Perspektive die alltäglichen Lebenswelten, auch im Verhältnis zwischen regionaler Eingrenzung und kulturellem Austausch, jeweils bis zur Gegenwart zu erforschen und die Erschließung und Dokumentation der einschlägigen Quellen voranzutreiben.

Außenansicht auf das Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde in Dresden, Bildnachweis: Michael Schmidt / Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde
Außenansicht auf das Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde in Dresden, Bildnachweis: Michael Schmidt / Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde

Mittels der klassischen Vermittlungsformen Publikationen, Tagungen, Vorträge, aber auch mit digitalen Angeboten wie der Sächsischen Biografie, dem Lebensgeschichtlichen Archiv für Sachsen, dem Digitalen Bildarchiv oder dem Historischen Ortsverzeichnis stellt das Institut Material und Ergebnisse seiner Tätigkeiten zur Nutzung zur Verfügung. Diese Angebote richten sich sowohl an Fachwissenschaftler*innen wie an interessierte Laien. 

Der Freistaat Sachsen blickt auf eine lange Geschichte volkskundlich-kulturanthropologischer Forschungseinrichtungen zurück, in deren Tradition das ISGV steht. Aus diesen Vorgängereinrichtungen resultiert ein großer Bestand von Nachlässen, Bildquellen sowie wissenschaftsgeschichtlich relevanten Arbeits- und Forschungsunterlagen, um deren Erschließung und Digitalisierung sich das ISGV seit längerem verstärkt bemüht, um sie als wissenschaftliche Infrastruktur verfügbar zu machen.

Postkarte mit der Abbildung einer tätowierten Frau, der Künstlerin Artoria Gibbons, um 1920, Bildnachweis: Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde, Bildarchiv, BSNR 139282
Postkarte mit der Abbildung einer tätowierten Frau, der Künstlerin Artoria Gibbons, um 1920, Bildnachweis: Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde, Bildarchiv, BSNR 139282

Zu diesem für das wissenschaftlich-kulturelle Erbe sowie die Wissenschaftsgeschichte der Volkskunde bedeutsamen Material gehört die Umfrage der sogenannten Volkskundlichen Landesaufnahme des Gaues Sachsen aus der Mitte der 1930er Jahre. Befragungen gehören zu den Standardmethoden der Volkskunde/Kulturanthropologie. Die Entwicklung des Fachs seit Ende des 19. Jahrhunderts ist eng mit der Ausbildung dieses empirischen Instruments verbunden: Sogenannte Gewährspersonen (wie Lehrer*innen und Pfarrer) lieferten der Wissenschaft Auskünfte über die Alltags- und Lebenswelten der breiten Bevölkerung.

Zu den größten Umfragen gehörte zwischen 1929 und 1935 der „Atlas der deutschen Volkskunde“. Tausende Einzelfragen zur volkskulturellen Überlieferung wurden an etwa 20.000 Gewährspersonen verschickt. Eine vergleichbare Aktion führte zwischen 1934 und 1937 die Landesstelle für Volksforschung und Volkstumspflege des Gaues Sachsen im NS-Lehrerbund durch: die Volkskundliche Landesaufnahme. Über ein Netzwerk von ca. 2.500 ehrenamtlichen Personen – vor allem Lehrkräfte – wurden alltagskulturelle Phänomene wie Brauchhandlungen im Lebens- und Jahreszyklus in hunderten Orten erfasst. Die Ergebnisse sind entweder stichpunktartig aufgeführt oder in erzählende Texte eingebunden. Ziel der Unternehmung waren Sammlung und Dokumentation von Kulturdaten sowie – ganz im zeitgenössischen Duktus der NS-Ideologie – die Sensibilisierung für regionale Identität, Zugehörigkeit und „Tradition“ – jenseits aller Modernisierungstendenzen. Die Lehrkräfte sollten das Material überdies in ihrer schulischen Arbeit einsetzen.

Einband der Zusammenfassung zu Weihnachtsbräuchen im Kreis Glauchau (ISGV, Volkskundliche Landesaufnahme)(CC BY-NC-SA 4.0)

Das ISGV verwahrt die hand- und maschinenschriftlichen Umfragen. Der Bestand (gut 25.000 Seiten) ist nach Kreisen geordnet und verzeichnet lokale Bräuche z.B. bei Geburt und Tod, im Frühling und zu Weihnachten. Vervollständigt werden die Unterlagen durch Kartenmaterial sowie ca. 80 Broschüren, die die Erhebungen nach Kreisen zusammenfassen. Der Bestand ist im Portal Kalliope nachgewiesen und erschlossen. 

Das Material ist von hoher wissenschaftsgeschichtlicher Relevanz und bietet die Möglichkeit, ideologisch motivierte Vorannahmen transparent zu machen sowie die Mechanismen der NS-„Volkstumsideologie“ und ihren Transfer in gesellschaftliche Diskurse zu analysieren.

Die detailreichen Antwortschreiben bilden eine aussagekräftige Grundlage für zahlreiche alltagskulturelle Fragestellungen. Zudem lassen sich ahistorische Prozesse im Sinne des Konzepts der Invented Traditions nachzeichnen: NS-Einflüsse werden als traditionsreiche Überlieferung bewertet. Die Orientierung an den Erhebungsmethoden des „Atlas“ lässt erwarten, dass auch andernorts Erhebungen durchgeführt wurden, für die die IGSV-Unterlagen eine Vergleichsgrundlage bieten. 

Das Material liefert aufgrund seiner Vergleichbarkeit zu modernen Formen wissenschaftlichen Arbeitens vielfältige Anknüpfungspunkte, so beispielsweise zu Konzepten der Citizen Science, und ist insbesondere für die Aushandlungsprozesse und Mittlerfunktionen von Lehrkräften als Cultural Broker zwischen „Wissenschaft“ und „Volk“ höchst aufschlussreich.

Finanziert wurde das Projekt mit Mitteln aus dem Programm Neustart Kultur der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM).

Karteikästen im Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde, Bildnachweis: Michael Schmidt / Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde
Karteikästen im Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde, Bildnachweis: Michael Schmidt / Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde

Das Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde hat auch zwei virtuelle Ausstellungen zu den Themen Glauben | Sammeln
Kleine Andachtsbilder im Nachlass Adolf Spamers
 
und Wissen | Schaffen 25 Jahre wissenschaftliches Arbeiten am Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde kuratiert.

Den Bestand der volkskundlichen Landesaufnahmen des NS-Lehrerbundes finden Sie hier

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