Eine frühe Form des Briefgeheimnisses: Die Siegel der Römer
Von Domenic Städtler (Wissenschaftlicher Mitarbeiter)
Schickt man heute einen Brief an seine Familie, so geht man ganz selbstverständlich davon aus, dass ihn kein Unbefugter zuvor gelesen hat. Eine frühe Form dieses Briefgeheimnisses kannte auch schon die Antike: Man nutzte ein Siegel, um den Brief vor den Augen eines Unbefugten zu schützen. War das Siegel intakt, so konnte man davon ausgehen, dass niemand das Schriftstück unrechtmäßig gelesen hatte. War es indessen aufgebrochen, so konnte man sich der Vertraulichkeit des Inhalts nicht mehr sicher sein.
Grundsätzlich denkt man bei Siegeln allerdings zumeist an strenggeheime Dokumente aus dem finsteren Mittelalter. Tatsächlich gibt es aber auch schon sehr frühe Siegel, um deren Existenz kaum jemand weiß. Die alten Babylonier verwendeten Rollsiegel: Diese wurden aus Kalkstein hergestellt und zeigen zumeist domestizierte Tiere. Auch die auf der Insel Kreta entstandene frühgriechische Kultur der Minoer (2. Jahrtausend v. Chr.) kannte bereits Siegel: Diese üblicherweise in Ringe gefassten Siegelsteine zeigen überwiegend Tierdarstellungen. Und die alten Römer? Tatsächlich spielten Siegel auch bei den Römern eine wichtige Rolle und offenbaren wertvolle Einblicke in die Vergangenheit. Deshalb wollen wir in diesem Beitrag einen genaueren Blick auf die römischen Siegel werfen und ergründen, was die moderne Archäologie über sie zu berichten weiß.
Siegelsteine
Die Römer waren nicht die ersten Bewohner der Apenninenhalbinsel, die Siegel verwendeten. Auch von den Etruskern sind einige Siegel aus dem 6. Jahrhundert v. Chr. erhalten geblieben. Es handelt sich um käferförmige Ringsteine, sogenannte Skarabäen: Diese ursprünglich aus Ägypten stammende Siegelform soll nach antiken Vorstellungen die ewige Wiedergeburt symbolisieren. Die Skarabäen waren aus dem Schmuckstein Karneol gefertigt und oval geformt. Sie zeigen vor allem verschiedene Figuren und Szenen aus der griechischen Mythologie. Karneole wurden auch von den Römern als Siegelsteine verwendet. Gerade aus spätrepublikanischer Zeit sind einige besonders schöne Siegelsteine aus Karneol erhalten geblieben, die in das 1. Jahrhundert v. Chr. datieren und ganz unterschiedliche Bildmotive zeigen: Einfache Porträtdarstellungen sind ebenso vertreten wie mythologische Darstellungen und Bilder aus dem Alltagsleben oder dem Götterkult. Man bedenke aber: Ein offizielles Staatssiegel, wie es für die Gemeinwesen (Poleis) des griechischen Ostens ganz selbstverständlich war, hat es für Rom nie gegeben.
Wie die antiken Autoren bezeugen, siegelte der erste römische Kaiser Augustus (27 v. Chr. – 14 n. Chr.) zuerst mit dem Bild der Sphinx, einem Fabelwesen mit geflügeltem Löwenkörper und Frauenkopf, das in der griechisch-römischen Bildsprache insbesondere als Hoffnungssymbol verstanden wird. Augustus hatte zwei identische Siegelringe: Den einen trug er auf seinem Finger und den anderen überließ er seinem Vertreter in Rom, der somit in seinem Namen siegeln konnte. Die beiden Siegelringe des Augustus haben sich zwar nicht erhalten, eine ungefähre Vorstellung von seinem Siegelbild vermittelt allerdings die Rückseite einer in Pergamon geprägten Münze. Später siegelte Augustus mit dem Bild von Alexander dem Großen und anschließend sogar ganz selbstbewusst mit seinem eigenen Bild.
Im Gegensatz zum Siegelring des Augustus haben sich allerdings zahlreiche Gemmen erhalten, die möglicherweise in einen Ring gefasst waren und als Siegel verwendet wurden. Oftmals lässt sich allerdings nicht sicher sagen, ob diese Gemmen tatsächlich als Siegel genutzt wurden oder lediglich als Schmuckstück bzw. Glücksbringer dienten. Die Bildmotive auf diesen Gemmen sind mannigfach: Religiöse Motive sind ebenso anzutreffen wie verschiedene Tierdarstellungen, Porträts und Szenen aus dem alltäglichen Leben.
Auch in der Spätantike waren Siegelsteine aus Karneol durchaus beliebt. Was neu ist, ist die christliche Ausrichtung der Bildsprache: So zeigt ein Siegelstein aus dem Oströmischen Reich einen aufrechten Anker mit Querbalken und rechts und links davon jeweils einen Fisch. Der geschulte Christ wird hier selbstverständlich die Form des Kreuzes erkennen. Die Fischsymbolik wird zudem durch die auf der rechten und linken Bildseite verteilten Buchstaben des Wortes ΙΧΘΥC hervorgehoben: Griechisch ἰχθύς bedeutet Fisch und ist ein Akronym für die Formel Ἰησοῦς Χριστός Θεοῦ Υἱός Σωτήρ – Jesus Christus, Sohn Gottes, der Erlöser.
Siegelsteine konnten im Übrigen auch bei den unmittelbaren Nachbarn der Römer an der Ostgrenze des Römischen Reiches ihren Siegeszug antreten: bei den Sassaniden (224 – 651 n. Chr.). Deren zumeist runde oder ovale, gelegentlich auch rechteckige Siegelsteine sind oftmals auch aus Karneol gefertigt. Sie zeigen ebenfalls eine breite Palette an verschiedenen Motiven: Tierdarstellungen sind ebenso vertreten wie menschliche Büsten und stehende Figuren. Das Bildmotiv wird oft von einer umlaufenden Inschrift in mittelpersischer Sprache (Pahlavi) begleitet. Gelegentlich sind auf den Siegelsteinen auch einzelne mehrzeilige Inschriften oder Monogramme dargestellt.
Siegelkapseln
Doch zurück zu den Römern: Einige seltsam anmutende kleine Gegenstände haben in archäologischen Museen oft für Verwirrung gesorgt und wurden häufig unspezifisch („uncertain object“, „objet non identifié“ oder „objet énigmatique“ o. ä.) oder falsch („Bronzeschmuckstück“ o. ä.) beschrieben. Was sind das aber für seltsame Gegenstände, mit denen selbst die Experten oft nur wenig anfangen können? Es handelt sich um Siegelkapseln. Diese sind zumeist aus Bronze, gelegentlich auch aus Bein gefertigt, bestehen aus einem Unterteil sowie einem teilweise dekorativ verzierten Deckel und können ganz verschieden aussehen: Die Archäologen unterscheiden vor allem zungen-/tropfenförmige, dreieckige, viereckige, rautenförmige, blattförmige und kreisrunde Siegelkapseln.
Ganz gleich, wie unterschiedlich diese Siegelkapseln auch aussehen mögen, die Funktionsweise ist stets die gleiche: Durch zwei Kerben an der oberen Kante sowie die drei oder vier Löcher am Boden wird eine Schnur gezogen und ihre Enden verknotet. Anschließend wird Wachs eingegossen, bis dieses auf das zu versiegelnde Holztäfelchen fließt und die Kapsel mit diesem verklebt. Auf das Wachs wird dann ein Siegelring eingedrückt und der Deckel zugeklappt. So konnte man später einfach den Deckel öffnen und prüfen, ob das Siegel auch wirklich unbeschädigt war oder ob ein Unbefugter das Siegel gebrochen und das Schriftstück gelesen hatte. Das naturgemäß relativ fragile Wachssiegel war durch die Siegelkapsel beim Transport geschützt. Weiterer Vorteil: Die Kapsel konnte nach dem Durchtrennen der Schnur sogar wiederverwendet werden.
Verwendet wurden Siegelkapseln vor allem, wie bereits erwähnt, zur Versiegelung von hölzernen Schreibtäfelchen. Diese Holztäfelchen waren mit einer Wachsbeschichtung versehen, wurden mit dem Schreibgriffel, lateinisch stilus, beschrieben und anschließend zusammengeklappt – und in einigen relativ wenigen Fällen anschließend noch versiegelt. Aber auch Münzbörsen und Warensäcke konnten in ähnlicher Weise versiegelt werden: Im Jahr 1993 wurde in Trier ein riesiger Goldschatzfund von 2.500 Goldmünzen in einem Bronzegefäß gefunden – ein Sensationsfund, wie er nur ganz selten vorkommt. Und ganz oben im Gefäß befand sich – wer hätte das gedacht – eine Siegelkapsel.
Tonsiegel
Warum aber finden sich Siegelkapseln so häufig im Norden und Westen des Römischen Reiches, nicht aber im Osten und Süden? Hierzu muss man Folgendes wissen: In den Nordprovinzen wurden als Schriftträger überwiegend die angesprochenen hölzernen Schreibtäfelchen verwendet, die bisweilen mit einem Wachssiegel und einer Siegelkapsel versiegelt wurden. Das Siegeln mit Wachs war grundsätzlich die Regel und so selbstverständlich, dass es in der antiken Literatur gar keiner Erwähnung bedurfte. Der römische Politiker und Autor Cicero nennt aber noch eine zweite Siegelart: das Tonsiegel. Im Osten und Süden des Römischen Reichs und speziell in Ägypten wurden überwiegend Papyri als Schriftträger benutzt. Diese wurden, wenn überhaupt, auf andere Weise versiegelt als die hölzernen Schreibtäfelchen: Ton ist deutlich weniger wärmeempfindlich als Wachs und bot sich daher für Papyri viel eher als Siegelstoff an; eine Siegelkapsel war für die Versiegelung eines Papyrus nicht notwendig.
Bedenkt man also den raffinierten Gebrauch von Siegelkapseln sowie den Bildreichtum römischer Siegelsteine, so ist klar: Römische Siegel sind eine durchaus interessante Materie und es ist überaus spannend, sich damit auseinanderzusetzen. In jedem Fall erlauben die Bilder auf den Siegelsteinen wichtige Einblicke in die Kultur und Vorstellungswelt der Römer. Siegel wurden also nicht nur für strenggeheime Dokumente des finsteren Mittelalters verwendet: Auch die Römer haben sich schon, wenn auch in etwas anderer Form, „Brief und Siegel“ gegeben.
Quellen
Fachliteratur
Furger, A. R.; Wartmann, M.; Riha, E.: Die römischen Siegelkapseln aus Augusta Raurica, Augst 2019 (Forschungen in Augst 44), online zugänglich unter: https://www.augustaraurica.ch/assets/content/files/publikationen/Forschungen-in-Augst/Fia44.pdf
Gyselesen, R.: Sasanian seals and sealings in the A. Saeedi collection, Belgium 2007 (Acta Iranica 44)
Instinsky, H. U.: Die Siegel des Kaisers Augustus. Ein Kapitel zur Geschichte und Symbolik des antiken Herrschersiegels, Baden-Baden 1962 (Deutsche Beiträge zur Altertumswissenschaft 16), online zugänglich unter: https://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0010/bsb00109446/images/index.html; Zugang über die Deutsche Digitale Bibilothek unter: https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/QBDZ67NSXRMIHSNL2GQEGVTWZBOKOSWZ.
Vandorpee, K.; Van Beek, B: “Non signat Aegyptus”? Seals and stamps in the multicultural society of Greco-Roman Egypt, in: Regulski, I.; Duistermaat, K.; Verkinderen, P.: Seals and sealing practices in the Near East. Developments in administration and magic from prehistory to the Islamic period, Leuven; Paris; Walpole 2012, S. 81 – 98, online zugänglich unter: https://www.academia.edu/51500738/Non_signat_Aegyptus_Seals_and_stamps_in_the_multicultural_society_of_Greco_Roman_Egypt
Wassiliou, A.-K.: Siegel und Papyri. Das Siegelwesen in Ägypten von römischer bis in früharabische Zeit. Katalog zur Sonderausstellung des Papyrusmuseums der Österreichischen Nationalbibliothek in Zusammenarbeit mit der Österreichischen Akademie der Wissenschaften/Kommission für Byzantinistik, 20. 9.-31. 12.1999, Wien 1999 (Nilus 4)
Populärwissenschaftliche Literatur
Etruskischer Skarabäus mit Tydeus: https://www.dewiki.de/Lexikon/Etruskischer_Skarab%C3%A4us_mit_Tydeus
Römische Gemmen: https://www.alteroemer.de/de/blog/roemische-gemmen/
Römische Wachstafeln: https://www.forumtraiani.de/roemische-schule/wachstafel/
Wiesenberg, F.: Verwendung der römischen Siegelkapsel – oder: „Wie siegele ich richtig?“, Aachen 2008, online verfügbar unter: http://www.roemischer-vicus.de/downloads/verwendung_der_siegelkapsel.pdf
Wikipedia: „Rollsiegel“: https://de.wikipedia.org/wiki/Rollsiegel
Wikipedia: „Siegelkapsel“: https://de.wikipedia.org/wiki/Siegelkapsel