Aus den Sammlungen: Kusakabe Kimbei – Japanbilder im späten 19. Jahrhundert

13.04.2023 Theresa Rodewald (Online-Redaktion)

Die Farbfotografie ist im Grunde genommen zwar so alt wie das Medium selbst, hat sich im großen Stil aber erst in den 1930er und 40er-Jahren durchgesetzt. Im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden Fotografien stattdessen in aufwendiger Handarbeit mit Pinsel und Stift koloriert.

Die schönsten kolorierten Fotografien dieser Zeit stammen nicht etwa aus Europa oder den USA, sondern aus Japan. Techniken aus dem traditionellen japanischen Kunsthandwerk lassen diese Bilder besonders realistisch erscheinen und geben Einblick in ein Land, das sich lange Zeit vom Ausland abgeschottet hatte. Einer der erfolgreichsten japanischen Fotografen des späten 19. Jahrhunderts ist Kusakabe Kimbei. Seine Fotografien befinden sich in Archiven und Museen überall auf der Welt.

Von Kōfu nach Yokohama

Geboren wird Kusakabe Kimbei 1841 in Kōfu, das relativ zentral auf der japanischen Hauptinsel Honshū zwischen Nagoya und Tokio liegt. Seine Familie ist im Tuchhandel tätig, ein Gewerbe, das Kusakabe Kimbei nicht weiterführen wird. Ihn zieht es schon in jungen Jahren nach Yokohama. Bis 1859 ist Yokohama ein kleines Fischerdorf an der japanischen Ostküste. Mit der Eröffnung des Seehafens im selben Jahr entwickelt es sich zu einer der bedeutendsten Handelsstädte des Landes.

Yokohama ist ab 1859 nicht nur ein Knotenpunkt für den internationalen Handel und Reisende aus dem Ausland. Die Stadt wird auch zum Zentrum der japanischen Fotografie. Internationaler Handel, Tourismus und Fotostudios wären nur wenige Jahre zuvor in Japan noch undenkbar gewesen. Denn mehr als 200 Jahre lang hatte sich das japanische Kaiserreich fast vollkommen von der Außenwelt abgeschirmt. 

Abgrenzung gegen kolonialen Einfluss: sakoku

In den 1630er-Jahren erlässt die japanische Regierung mehrere Edikte, die sich zunächst vornehmlich gegen portugiesische und spanische Kaufleute richten. In Süd- und Südostasien sowie an der Ost- und Westküste Afrikas ebnen die europäischen Handelsstützpunkte den Weg für die gewaltsame Kolonialisierung. Die japanischen Edikte dagegen verbieten iberischen Seeleuten die Einreise nach Japan. 

Dann soll auch katholischen Missionaren Einhalt geboten werden. Nur wenige Jahre später verbietet die Regierung grundsätzlich allen Ausländer*innen die Einreise und allen Japaner*innen die Ausreise aus dem Land. Bei Zuwiderhandlung drohen lebenslange Haft oder gar die Todesstrafe. Dem italienischen Jesuiten Giovanni Battista Sidotti beispielsweise gelingt 1708 die Einreise nach Japan, er verbringt den Rest seines Lebens aber unter strengem Hausarrest.

Der Handel mit dem Ausland ist zwar stark eingeschränkt, wird aber nie ganz eingestellt. Auf der Insel Dejima im Hafen von Nagasaki betreibt die Niederländische Ostindien-Kompanie weiterhin eine Niederlassung. Über die Niederlande gelangen Bücher, Arzneimittel und Kunst nach Japan, während im Gegenzug zum Beispiel japanisches Kunstgewerbe nach Europa exportiert wird.

Diese in Japan als sakoku („Landesabschließung“) oder kaikin („maritimer Abschluss“) bezeichnete Außenpolitik geht 1854 zu Ende. In diesem Jahr erzwingt der US-amerikanische Commodore Matthew Perry mit dem Vertrag von Kanagawa die Öffnung japanischer Häfen für die Versorgung amerikanischer Schiffe. Vier Jahre später legt der Harris-Vertrag zwischen Japan und den USA die Öffnung einiger japanischer Häfen, darunter Yokohama, für amerikanische Handelsschiffe fest. Handelsverträge mit England, Russland und Frankreich besiegeln schließlich die Öffnung Japans gegenüber dem Westen.

Frühe Fotografie in Japan

Über die geöffneten Grenzen strömen seit den späten 1850er Jahren Handelsleute und Reisende aus Europa nach Japan. Sie bringen ihre Kultur, Kleidung und auch die Fotografie ins Land. Das junge Medium entwickelt sich zu einem lukrativen Handelszweig für Ausländer*innen. Durch die Abschließung gelten Japan und seine Landschaften, Menschen und Kultur im Ausland als Mysterium. Was ehemals verboten war und unerreichbar schien, wird in den 1860er-Jahren plötzlich sichtbar und scheint durch das neue fotografische Medium zum Greifen nah.

Fotostudios gedeihen im internationalen Klima von Hafenstädten wie Yokohama besonders gut. Dort beitreibt auch der italienisch-englische Fotograf Felice Beato ein Studio. Er macht die Handkoloration zum Markenzeichen der damaligen japanischen Fotografie. Handkolorierte Fotos, die japanische Landschaften und Kultur abbilden, werden zum internationalen Kassenschlager. Beato und andere europäische Fotografen machen sich die japanische ukiyo-e Industrie und ihre zahlreichen, gut ausgebildeten Kunsthandwerker*innen zunutze. Ukiyo-e bezeichnet vor allem Farbholzschnitte, aber auch Gemälde und Zeichnungen, die das Lebensgefühl im Japan der Edo-Zeit (1603-1868) einfangen.

Die japanischen Farbholzschnitte sind nicht perspektivisch gezeichnet, haben dafür aber eine präzise und dynamische Farbgestaltung. Dieses Wissen bringen japanische Kunstschaffende in die Koloration von Fotografien ein. Ihre gekonnte Verwendung von Wasserfarben verleiht den Fotografien eine Echtheit, die westlichen Fotografien in der Regel fehlt. In Europa und den USA ähneln handkolorierte Fotos eher Zeichnungen oder Aquarellen. Kleidungsstücke oder Gesichter wirken oft statisch oder wie ausgemalt. Auf japanischen Fotografien hingegen erwecken sie den Anschein von Lebendigkeit.

Das Fotostudio K. Kimbei

Auch Kusakabe Kimbei beginnt seine Karriere als Kolorist bei europäischen Fotografen. Zunächst arbeitet er in den Studios von Felice Beato sowie des Österreichers Raimund Stillfried von Rathenitz. 1880 eröffnet er sein eigenes Fotostudio und wird zu einem der erfolgreichsten japanischen Fotografen des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Das Studio führt er unter seinem Vornamen: „K. Kimbei“. Grund dafür ist möglicherweise, dass ausländische Reisende sich seinen Vornamen einfacher einprägen konnten. Die Fotografien entstehen teilweise in Kusakabe Kimbeis Studio in Yokohama, wo er einzelne Szenen vor gemaltem Hintergrund inszeniert. Der Großteil seiner Fotografien zeigt allerdings Stadtansichten, Landschaften und beliebte Reiseziele.

Die aufwendig produzierten kleinen Kunstwerke verkauft Kusakabe Kimbei entweder als kostspielige Fotoalben oder als Einzelstücke an Touristen. Motive und Bildkomposition seiner Fotografien orientieren sich an den ukiyo-e. Sie stellen ein romantisches, stereotypes und im späten 19. Jahrhundert schon veraltetes Bild der japanischen Gesellschaft dar. Kusakabe Kimbei greift in seinen Fotografien außerdem die japanischen bijinga, das sind ästhetisch stilisierte Bilder von Frauen auf. Auch hier werden die Frauen nicht mit den vom Westen inspirierten Frisuren und Kleidern der damaligen Zeit abgebildet, sondern sind nach althergebrachter Mode gekleidet und frisiert.

Die Fotografien von Kusakabe Kimbei und seinen Zeitgenossen beeinflussen die Wahrnehmung Japans und japanischer Kultur im Ausland nachhaltig. Nicht zu unterschätzen ist hierbei die Rolle des Mediums selbst. Mehr noch als die japanischen Farbholzschnitte, die auch in Europa sehr beliebt sind, erzeugen Fotografien den Eindruck von Realität. Auch wenn mit heutigen Sehgewohnheiten schnell erkennbar ist, dass viele der Szenen gestellt sind, fügen sich die Bilder nach wie vor in romantische Vorstellungen von japanischer Kultur ein.

Schon 1889 bringt George Eastman die Kodak Nr. 1 auf den Markt. Die Boxkamera ist handlich, einfach zu bedienen und gilt heute als eine der ersten Point-and-Shoot Kameras für Amateurfotograf*innen. Mit dem Beginn des neuen Jahrhunderts greifen mehr und mehr Reisende selbst zur Kamera, anstatt aufwendig produzierte und kostspielige Souvenirfotografien zu erwerben. Die im Aufstieg begriffene Postkartenindustrie sowie preiswert produzierte Bildbände stellen eine weitere Konkurrenz für japanische Fotostudios dar. Deren Fotografien sind nun weniger wertvoll, in der Produktion aber weiterhin aufwendig und damit teuer.

Viele Fotostudios müssen deshalb im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts schließen. Kusakabe Kimbei strukturiert sein Geschäft um und bietet Amateurfotograf*innen sowohl Fotobedarf zum Verkauf als auch seine Dunkelkammer zur Miete an. Neben seinem Geschäft in Yokohama eröffnet er außerdem eine Filiale in Tokio. Die Fotostudios betreibt er bis zu seinem Ruhestand 1914. Kusakabe Kimbei stirbt 1932 im Alter von fast 90 Jahren. Seine Lebenszeit fällt mit zahlreichen Umbrüchen in der japanischen Gesellschaft zusammen. Er erlebt die Öffnung Japans gegenüber dem Westen, die Abschaffung des Ständesystems, die Einführung einer Verfassung, aber auch die Auswirkungen des japanischen Imperialismus und das Erstarken von nationalistischen Kräften.

Die eindeutige Zuordnung von japanischen Souvenirfotografien aus dem späten 19. Jahrhundert zu ihren Fotograf*innen gestaltet sich heute schwierig. Einerseits erwerben Reisende meist verschiedene Fotos und kleben diese ohne Hinweis auf die Urheberschaft in ihre Fotoalben. Schließt ein Fotostudio oder geht ein*e Fotograf*in in den Ruhestand, ist es andererseits in dieser Zeit üblich, die Negative an die Konkurrenz zu verkaufen. Copyrightregelungen gibt es zunächst nämlich nicht. Selbst nach Einführung von Urheberrechtsgesetzen werden dieselben Fotos weiterhin von verschiedenen Fotograf*innen verkauft. Dementsprechend ist heute oft unklar, ob ein Foto beispielsweise von Felice Beato, Raimund Stillfried von Rathenitz oder Kusakabe Kimbei stammt.

Unabhängig von der unklaren Urheberschaft eröffnen die aufwendig kolorierten Fotografien von Kusakabe Kimbei und anderen japanischen Fotografen wie Uchida Kuichi oder Usui Shūzaburō auch heute noch einen so idealisierten wie aufschlussreichen Blick auf Japan im späten 19. Jahrhundert.

 

Fotografien von Kusakabe Kimbei in der Deutschen Digitalen Bibliothek

Fotografien aus Japan 1850-1900 in der Deutschen Digitalen Bibliothek

 

Quellen

"How colorized photos helped introduce Japan to the world": https://www.youtube.com/watch?v=1kBQ0qlHz8M

Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Kusakabe_Kimbei

https://de.wikipedia.org/wiki/Abschlie%C3%9Fung_Japans

https://de.wikipedia.org/wiki/Vertrag_von_Kanagawa

https://de.wikipedia.org/wiki/Felice_Beato#Japan

Museum Ludwig: https://www.museum-ludwig.de/de/ausstellungen/rueckblick/2022/voiceover-felice-beato-in-japan.html

https://bild-akademie.de/blog/2015/09/08/zartrosa-und-lichtblau-japanische-fotografie-der-meiji-zeit/

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