Star-Architekt, Visionär, Musikliebhaber – Erich Mendelsohns Bauten stehen während der Weimarer Republik für Fortschritt und Moderne, heute sind sie Klassiker expressionistischer Architektur. Ein Teil von Mendelsohns Nachlass findet sich in der Kunstbibliothek der Staatlichen Museen zu Berlin. Diese Skizzen und Entwürfe lassen sich auch in der Deutschen Digitalen Bibliothek bewundern.

Am 21. März 1887 wird Erich Mendelsohn in Allenstein/Olsztyn, etwa 100 km südlich von Kaliningrad im heutigen Polen, geboren. Architektur will er eigentlich schon von Anfang an studieren, beginnt nach dem Schulabschluss auf Wunsch seiner Eltern aber zunächst ein Volkswirtschaftsstudium. 1908 gelingt es ihm schließlich seine Eltern zu überzeugen, und er schreibt sich als Student der Architektur, anfangs in Berlin und später in München, ein. Schon im Studium entwirft er sein erstes Gebäude: das Taharahaus auf dem jüdischen Friedhof seiner Heimatstadt.

Neben Architektur begeistert sich Erich Mendelsohn auch für moderne Kunst und Musik. Als Student ist er in verschiedenen Künstler-Gruppen aktiv, hat Kontakt zu Mitgliedern des Blauen Reiters und der Brücke. Er entwirft Bühnenbilder und Kostüme, stattet Faschingsbälle aus und arbeitet als freier Architekt. Mendelsohn ist Teil einer Avantgarde, die Kunst und Gesellschaft verändern, neu denken will.

1914 bricht der Erste Weltkrieg aus. Mendelsohn wird zwar anfangs ausgemustert, später aber doch noch eingezogen und an die russische Front versetzt. Er ist im Nordosten, im heutigen Lettland, stationiert, wo das Kriegsgeschehen etwas weniger heftig ist, sodass auch Zeit zum Lesen, Fotografieren und Skizzieren bleibt. Seine Entwürfe schickt er nach Berlin an seine Frau, die Cellistin Luise Mendelsohn.

1918 wird Mendelsohn nach Frankreich versetzt und erkrankt an der Spanischen Grippe: Das Kriegsende erlebt er in einem bayerischen Lazarett. Zurück in Berlin gründet er sofort sein eigenes Architekturbüro, während er mit Vorträgen und einer Ausstellung in der Kunstgalerie Paul Cassirer weiter auf sich aufmerksam macht. Dass Luise Mendelsohn vorzüglich vernetzt ist und viele Bekannte in Berlin hat, kommt ihm dabei ebenfalls zugute. Erwin Finlay-Freundlich etwa, ein cellospielender Astrophysiker, will die Einstein’sche Relativitätstheorie mittels eines eigenen Sternenobservatoriums überprüfen. Über Luise ist Erich schon während des Kriegs mit ihm im Kontakt – 1919 werden die Pläne konkreter und er darf den Bau entwerfen.

Das schnell als „Einsteinturm“ bekannte Observatorium ist für seine Zeit revolutionär und katapultiert Mendelsohn über Nacht an die Spitze der architektonischen Avantgarde. Der Bau gestaltet sich indes alles andere als flüssig: Mendelsohn ist von Stahl und Stahlbeton begeistert, Baumaterialien, die zu dieser Zeit noch wenig erprobt sind. Der Einsteinturm wird deshalb aus verschiedenen Materialien errichtet: Der Turm selbst besteht aus gemauerten Ziegeln – Kuppel, Außenwände und Terrasse sind wiederum aus Beton.

Der optischen Einheitlichkeit halber wird die Konstruktion schließlich noch verputzt. Die unterschiedlichen Materialien formen dabei äußerlich zwar ein Ganzes, ergänzen sich im Inneren aber weniger gut. Schon fünf Jahre nach Fertigstellung muss der Einsteinturm zum ersten Mal saniert werden. Ungefähr alle zehn Jahre folgen nun kleinere und größere Reparaturen, bis der Turm zwischen 1997 und 1999 noch einmal umfassend saniert wird.

Der gute Ruf Mendelsohns ist dadurch aber keineswegs geschmälert. Selbst während der Hyperinflation 1923 gehen seinem Architektur-Büro die Aufträge nicht aus. Er realisiert den Um- und Neubau des Verlagshauses Rudolf Mosse, die Hutfabrik Friedrich Steinberg in Luckenwalde, das Kaufhaus Schocken in Stuttgart, das Metallarbeiterhaus (heute IG-Metall) und das Columbushaus in Berlin, sowie viele andere. Die Bauten sind visionär, eigenwillig und elegant. 1926 ist Mendelsohn Mitbegründer der progressiven Architekten-Gruppe „Der Ring“, zu dessen Mitgliedern auch Ludwig Mies van der Rohe und Walter Gropius zählen.

Mendelsohns Wirken in Deutschland findet im Frühjahr 1933 mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler ein jähes Ende. Noch im selben Jahr wird Mendelsohn, der Jude ist, aus der Preußischen Akademie der Künste und dem Deutschen Werkbund ausgeschlossen. Die Familie emigriert über Holland nach London. In England eröffnet er gemeinsam mit Serge Chermayeff ein neues Architektur-Büro, das unter anderem den De La Warr Pavilion in Bexhill-on-sea entwirft. Die Aufträge aus dem britischen Mandatsgebiet in Palästina werden immer zahlreicher und so gründet Mendelsohn 1934 ein Büro in Jerusalem und pendelt zwischen London und Jerusalem, bevor die Familie 1939 komplett übersiedelt.

Seine Bauten in Jerusalem passen sich den geografischen und klimatischen Gegebenheiten an. Hier verzichtet er auf Stahlbeton oder große Fenster, baut stattdessen mit Stein oder Ziegeln und entwirft Gebäude, die der Hitze besser standhalten.

1941 nähert sich das von Erwin Rommel geführte Afrika-Korps Palästina, und die Familie Mendelsohn siedelt in die USA über. Mit dem Kriegseintritt der USA werden Bauvorhaben drastisch beschränkt, Mendelsohn berät das War Department im Luftkrieg gegen Deutschland und schreibt an einem Buch, „A Contemporary Philosophy of Architecture“, das jedoch nie fertiggestellt wird. Nach Kriegsende zieht die Familie nach San Francisco, wo Mendelsohn schließlich sein letztes Architektur-Büro gründet, mit dem er vor allem Synagogen und Gemeindezentren baut. Er plant ein Denkmal für die ermordeten Juden Europas in New York, das aber nie realisiert wird. Ab 1947 unterrichtet er an der University of California in Berkeley. 1953 stirbt er in San Fransisco.

Musikalische Skizzen: Die Arbeitsweise von Erich Mendelsohn

Natur und Musik sind eine zentrale Inspirationsquelle für Erich Mendelsohn. Er zeichnet Naturformen ab und überträgt sie in Bauzeichnungen. Bekannt sind vor allem seine Skizzen von Dünen, die beispielsweise in den Bau der Hutfabrik in Luckenwalde einfließen. Der Hutfabrik verleiht er damit nicht nur ein elegant-expressionistisches Äußeres, sondern auch eine innovative Lüftung.

Daneben spielt Musik eine zentrale Rolle in seinem Schaffen. In Mendelsohns Nachlass finden sich zahlreiche „musikalische Skizzen“: Ideen, Zeichnungen und Entwürfe, die er beim Hören von Musik anfertigt. Teilweise verleiht er diesen Skizzen sogar die Titel jener Werke, die ihn bei der Anfertigung inspiriert haben, wie zum Beispiel „Mozart Requiem“ oder „Brahms Sextett“. Besonders beim Hören von J.S. Bach, den Brandenburgischen Konzerten, der Kunst der Fuge oder der Matthäus Passion zeichnet Mendelsohn regelmäßig. Aber auch als Konzertzuhörer kommen ihm immer wieder Ideen, die er sofort festhält. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Konzerte im engen Freundeskreis oder in der Öffentlichkeit stattfinden, ob er gerade einen Skizzenblock oder nur ein Programmheft zur Hand hat.

Die musikalischen Skizzen sind keineswegs nur Spielereien, oft dienen sie als Vorlage für Gebäude. Die Umsetzung der Skizzen in konkrete Bauzeichnungen liegt Mendelsohn dagegen weniger. Seine Ideen in baufähige Gebäude zu übersetzen, überlässt er den Mitarbeiter*innen seines Architekturbüros.

Mendelsohns Fantasie und Denken scheinen selten stillzustehen. Neben Auftragsarbeiten und musikalischen Skizzen finden sich in seinem Nachlass auch zahlreiche Fantasiegebäude, darunter Entwürfe für ein eigenes Wohnhaus, Industriebauten, ein Tanzlokal, Wohnkomplexe oder imaginäre Brückenköpfe, die beinahe an Raumschiffe erinnern. Diese Dynamik, die Mischung aus künstlerischem, sozialem und praktischem Denken zeichnen Mendelsohns Gebäude (gleich ob verwirklicht oder nicht) bis heute aus. Auch knapp einhundert Jahre später sind sie noch radikal, modern und inspirierend.

Der Nachlass von Erich Mendelsohn verteilt sich heute auf die Kunstbibliothek der Staatliche Museen zu Berlin und das Getty Research Institute in Los Angeles. Mit dem digitalen „Erich Mendelsohn-Archiv“ (EMA) haben sich beide Institutionen zusammengetan, um einen umfassenden Zugang zu seinem Nachlass zu schaffen. Im Mittelpunkt steht der jahrzehntelange Briefwechsel zwischen Erich Mendelsohn und seiner Frau Luise. Mehr als zweitausend Briefe wurden digitalisiert, transkribiert und mit Anmerkungen versehen. Sie können hier eingesehen werden.

Erich Mendelsohns Skizzen aus der Kunstbibliothek der Staatlichen Museen zu Berlin in der DDB finden Sie hier.

 

Quellen

https://www.deutschlandfunkkultur.de/erich-mendelsohn-ausstellung-in-berlin-der-grosse-visionaer.1079.de.html?dram:article_id=426941

http://ema.smb.museum/de/biografie

https://de.wikipedia.org/wiki/Erich_Mendelsohn

https://www.dhm.de/lemo/biografie/erich-mendelsohn

https://de.wikipedia.org/wiki/Einsteinturm

Essay von Regina Stephan über die Arbeitsweise von Erich Mendelsohn als pdf

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