Aus dem Archivportal: "Im Blickpunkt - Soziologie in der Weimarer Republik"

Aus dem Archivportal: "Im Blickpunkt - Soziologie in der Weimarer Republik"

08.02.2022

Von Archivportal-D

In der Rubrik „Im Blickpunkt“ präsentieren wir besondere Highlights aus Archiven, die im Archivportal-D vertreten sind. Diese ausgewählten Archivalien geben Einblick in die Bestände und bieten Rechercheanregungen für eine mögliche Suche im Archivportal-D oder im Themenportal „Weimarer Republik“. Wir freuen uns, in diesem Monat einen wissenschaftlichen Beitrag von Dr. Sebastian Klauke von der Ferdinand-Tönnies-Gesellschaft e. V. (Kiel) präsentieren zu können. In den Angaben zu weiteren Recherchemöglichkeiten unten verweisen wir auf unsere Objektgalerie auf der Startseite des Themenportals, in der wir Ihnen weitere Quellen zu diesem Themenkomplex vorstellen.

Die Aktivitäten der 1909 gegründeten Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS), an der federführend Georg Simmel, Ferdinand Tönnies und Max Weber beteiligt waren, wurden durch den Ersten Weltkrieg unterbrochen. Die Soziologie hatte sich in dieser Zeit noch nicht als eigenständige akademische Disziplin etabliert. Erst 1919 folgte die Einrichtung dezidiert soziologischer Lehrstühle: Franz Oppenheimer wurde Professor an der Frankfurter Universität und in Köln besetzten Max Scheler und Leopold von Wiese entsprechende Stellen. Wiese verantwortete mit den Kölner Vierteljahrsheften für Soziologie auch die erste soziologische Fachzeitschrift, die seit 1921 erschien und war am 1918/1919 gegründeten Kölner Institut für Sozialforschung tätig. Weitere fachwissenschaftliche Zeitschriften folgten. Die Soziologie entwickelte sich zu einer akademisch verankerten Disziplin, was auch politisch so forciert wurde. In der Zeit der Weimarer Republik wurden insgesamt an 18 Universitäten soziologische Lehrstühle eingerichtet, die von 34 Personen ausgefüllt wurden. Ferdinand Tönnies, als der bekannteste Soziologe der Weimarer Zeit, bekam 1921 an der Kieler Universität einen Lehrauftrag für Soziologie zugesprochen, erhielt jedoch keinen eigenen Lehrstuhl.

In theoretischer Hinsicht war vor allem die von Wiese begründete Beziehungslehre, mit dem Fokus auf die Analyse der Wechselwirkungen zwischen den Menschen, in der Weimarer Republik prägend, die allerdings nach 1945 in der Bedeutungslosigkeit verschwand. Weitere bedeutende Soziologen im Verlaufe der 1920er und frühen 1930er Jahre waren Ferdinand Tönnies, Alfred Weber, Karl Mannheim, Werner Sombart, Alfred Vierkandt, Hans Freyer, Theodor Geiger und Andreas Walther. Dabei entfalteten sich die verschiedenen thematischen Ausrichtungen der Soziologie, das Fach erlebte eine enorme inhaltliche Ausdifferenzierung: So war Alfred Weber in Heidelberg Vertreter einer Kultursoziologie, Andreas Walther in Hamburg betrieb eine empirisch orientierte Soziologie, um Karl Mannheim entstand die Wissenssoziologie. Am Frankfurter Institut für Sozialforschung entstand unter dem Institutsleiter Max Horkheimer ab den frühen 1930er Jahren die Kritische Theorie.

Neben den Universitäten waren außeruniversitäre Orte bedeutend für die Entwicklung der Soziologie, bspw. die Deutsche Hochschule für Politik in Berlin oder die Akademie der Arbeit in Frankfurt.

Vorlesungsverzeichnis der Deutschen Hochschule für Politik, Abteilung Soziologie und Sozialpolitik (Sommersemester 1921), BArch, R 1501/113523.
Vorlesungsverzeichnis der Deutschen Hochschule für Politik, Abteilung Soziologie und Sozialpolitik (Sommersemester 1921), BArch, R 1501/113523.

Nach längeren Überlegungen und Vorbereitungen seit 1919 erfuhr die DGS 1922 ihre Wiederbegründung. Ferdinand Tönnies wurde ihr Präsident und blieb dies bis 1933, von Wiese war die gesamte Zeit ihr Sekretär. Der Zugang zur DGS war streng limitiert und erfolgte über die Kooptierung im Rahmen eines Patensystems. Das politische Spektrum ihrer Mitglieder reichte von überzeugten Demokatinnen und Demokraten, über liberale Denkerinnnen und Denker und  Marxistinnen und Marxisten bis hin zu Intellektuellen der Rechte wie Carl Schmitt. 

Aufklärungsschrift von Franz Oppenheimer zum Begriff „Sozialisierung“. Werbedienst der deutschen sozialistischen Republik, Nr. 49, 1919. Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Hauptstaatsarchiv Stuttgart, E 135 b Bü 563.
Aufklärungsschrift von Franz Oppenheimer zum Begriff „Sozialisierung“. Werbedienst der deutschen sozialistischen Republik, Nr. 49, 1919. Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Hauptstaatsarchiv Stuttgart, E 135 b Bü 563.

Die DGS und ihre Mitglieder waren die dominanten Akteure der Soziologie als eigenständiger Disziplin. Seit 1926 gab es zudem thematische Untergruppen für Themen wie Methodologie, Naturrecht, Wissenssoziologie und Soziographie. Die internationale Verflechtung geschah über korrespondierende Mitlieder aus dem Ausland sowie über die Teilnahme einzelner DGS-Mitglieder an internationalen Tagungen und Kongressen. Jenseits der DGS mischten sich die Soziologinnen und Soziologen  durchaus auch in gesellschaftliche und tagespolitische Auseinandersetzungen ein und verstanden sich mitunter als öffentliche Intellektuelle, die auch öffentliche Vorträge hielten. So beschäftigte sich Tönnies bspw. auch mit dem Reichsschulgesetzentwurf.

Anträge zum § 20 des Entwurfs eines Reichsschulgesetzes (Bekenntnisschule), Reichsschulgesetz. - Handakten Staatssekretär Dr. Pünder: Bd. 2, 1928. Bundesarchiv, BArch R 43-I/792a.
Anträge zum § 20 des Entwurfs eines Reichsschulgesetzes (Bekenntnisschule), Reichsschulgesetz. - Handakten Staatssekretär Dr. Pünder: Bd. 2, 1928. Bundesarchiv, BArch R 43-I/792a.

Der dritte Soziologentag fand 1922 in Jena statt, weitere folgten im Abstand von jeweils zwei Jahren, zuletzt 1930 in Berlin. Thematisch waren diese Veranstaltungen nur selten mit realpolitischen und realgesellschaftlichen Entwicklungen beschäftigt, wenngleich öffentliche Intellektuelle wie Tönnies durchaus gegen den Aufstieg der Nationalsozialisten die Stimme erhoben. In Jena stand das "Wesen der Revolution" im Fokus, die anderen Themen der Soziologentage waren "Soziologie und Sozialpolitik" und "Wissenschaft und Sozialstruktur" (1924), das "Wesen der Demokratie" (1926), "Konkurrenz" (1928) und zuletzt "Presse und öffentliche Meinung" (1930).

Ein achter Soziologentag, der zuletzt im April 1933 in Kiel stattfinden sollte, wurde nicht mehr abgehalten. Strebte Leopold von Wiese noch die "Selbstgleichschaltung" der DGS an, wurde sie schließlich von Hans Freyer „stillgelegt“. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde in der Folge vor allem empirische Sozialforschung betrieben, Theorie spielte weitestgehend keine Rolle, keinesfalls aber verschwand die Soziologie als Wissenschaft. Rund zwei Drittel der Soziologen mussten fliehen.

Die DGS wurde 1946 wiedergegründet, im September des gleichen Jahres fand der 8. Soziologentag statt. Leopold von Wiese war hieran federführend beteiligt.

 

Der Text stammt von Dr. Sebastian Klauke von der Ferdinand-Tönnies-Gesellschaft e. V. (Kiel). Wir danken ihm für die Bereitstellung des Textes.

 

Links zu den Quellen im Themenportal

Tätigkeit der Deutschen Hochschule für Politik

Franz Oppenheimer: Sozialisierung

Reichsschulgesetz - Handakten Staatssekretär Dr. Pünder: Bd. 2

 
Recherchemöglichkeiten

Wenn Sie sich für weitere Quellen zum Thema interessieren, wählen Sie über den A–Z Index „Soziologie“ und „Sozialpolitik“ aus und kombinieren Sie diese thematischem Schlagwörter etwa mit dem Geografikum „Deutsches Reich“.

In der Objektgalerie auf der Startseite des Themenportals finden Sie weitere Quellen zu den Schlagwörtern „Soziologie“, „Sozialpolitik“ und "Universität".

 

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