Reichszentrale für Heimatdienst

Aus dem Archivportal: "Im Blickpunkt - Die Reichszentrale für Heimatdienst"

06.07.2021

Von Pierre Schmuck (Albert-Ludwigs-Universität Freiburg)

In der Rubrik „Im Blickpunkt“ präsentieren wir besondere Highlights aus Archiven, die im Archivportal-D vertreten sind. Diese ausgewählten Archivalien geben Einblick in die Bestände und bieten Rechercheanregungen für eine mögliche Suche im Archivportal-D oder im Themenportal „Weimarer Republik“. Wir freuen uns, in diesem Monat einen wissenschaftlichen Beitrag von Pierre Schmuck von der Albrecht-Ludwigs-Universität Freiburg mit Quellen aus dem Landesarchiv Baden-Württemberg und dem Bundesarchiv präsentieren zu können.

Mit der Reichszentrale für Heimatdienst existierte zwischen 1919 und 1933 erstmals eine deutsche Regierungsbehörde, die für politische und staatsbürgerliche Aufklärung und Bildung zuständig war. Sie ging aus der noch während des Ersten Weltkrieges, im März 1918, gegründeten Zentrale für Heimatdienst hervor. In der Weimarer Republik lautete ihr Arbeitsauftrag gemäß einer entsprechenden Entschließung des Reichstages: sachliche Aufklärung über außenpolitische, wirtschaftspolitische, soziale und kulturelle Fragen, und zwar nicht im Geiste einzelner Parteien, sondern vom Standpunkte des Staatsganzen. Als solche kann die Reichszentrale für Heimatdienst in mancher Hinsicht als ein Vorläufer der heutigen Bundeszentrale für politische Bildung gedeutet werden.

Geleitet wurde der Reichsheimatdienst von Oberregierungsrat (später Ministerialrat) Dr. Richard Strahl (1884–1957). Zur Behördenstruktur gehörten neben der Zentralleitung in Berlin zeitweise mehr als 20 Landesabteilungen, die verteilt auf das gesamte Gebiet des Deutschen Reiches eingerichtet wurden. Diese Außenstellen bildeten wichtige Stützen der amtlichen politischen Aufklärungs- und Bildungstätigkeit: Sie waren für die Verteilung von Druckschriftenmaterial zuständig und organisierten Veranstaltungen des Reichsheimatdienstes vor Ort. Darüber hinaus fungierten sie als Kontakt- und Koordinierungsstellen zu lokalen Verwaltungsbehörden sowie zu jenen Vereinen, Verbänden und Institutionen der zeitgenössischen Volksbildung, die sich einen ähnlichen politischen Bildungsauftrag gegeben hatten.

Die Reichszentrale für Heimatdienst verpflichtete sich zu politischer Objektivität und Neutralität. Ihre Tätigkeit sollte frei sein von parteipolitischen Tendenzen und allein das Wohl des Staatsganzen im Blick haben. Um dem eigenen Anspruch, in zeitgenössischen Meinungskämpfen ausgleichend zu wirken und damit einen politischen Grundkonsens zu etablieren, gerecht zu werden, war der Reichsheimatdienst nach eigenen Angaben bemüht, lediglich Material zu veröffentlichen, das auf wissenschaftlicher Erkenntnis und auf Fakten beruhte. Auf dieser Grundlage sollte sich jede und jeder Einzelne ein eigenes Urteil zu zeitgenössischen politischen Herausforderungen bilden können.

In der Praxis bediente sich die Reichszentrale unterschiedlicher Methoden zur Vermittlung ihrer Inhalte. Die Behörde gab die regelmäßig erscheinenden Schriften „Der Heimatdienst“ und die „Richtlinien“ heraus, in denen sie politische Themen für ein breites Publikum aufbereitete. Ein weiteres wichtiges Tätigkeitsfeld war das Vortragswesen. Der Reichsheimatdienst organisierte Informations-, Schulungs- und Bildungsveranstaltungen in unterschiedlichen Formaten. Dazu zählten neben mehrmonatigen Vortragsreihen auch Wochenendtagungen – sogenannte Staatsbürgerliche Bildungstage – und zahlreiche einzelne Vortragsveranstaltungen. Letztere fanden nicht selten auch in kleineren Orten und ländlichen Regionen der Republik statt; die potentielle Reichweite politischer Aufklärungs- und Bildungstätigkeit war so gesehen recht hoch. Das inhaltliche Spektrum reichte von wirtschaftlichen und sozialpolitischen Themen über verfassungsrechtliche Fragen bis zu Schwerpunkten der deutschen Außenpolitik.

Inhaltsverzeichnis zu den staatsbürgerlichen Bildungstagen und Lehrgängen der Reichszentrale für Heimatdienst vom September 1925 bis Januar 1926. BArch R 1501/114202, 4.
Inhaltsverzeichnis zu den staatsbürgerlichen Bildungstagen und Lehrgängen der Reichszentrale für Heimatdienst vom September 1925 bis Januar 1926. BArch R 1501/114202, 4.

Darüber hinaus war der Reichsheimatdienst für die Verbreitung amtlicher Bekanntmachungen in Form von Plakatanschlägen zuständig. Zu diesem Tätigkeitsfeld gehörten nicht nur Aufrufe an die Bevölkerung, sich an Wahlen zu beteiligen, sondern auch propagandistische Einwirkungsversuche auf die Volksabstimmungen in Schleswig-Holstein (Februar/März 1920), Ost- und Westpreußen (Juli 1920) und Oberschlesien (März 1921) sowie die publizistische Unterstützung des „Ruhrkampfes” während der französischen Besatzung im Jahr 1923.

"Kameraden", Aufruf der Reichszentrale für Heimatdienst, Landesabteilung Baden, zur Nutzung der Wahlfreiheit, 8. Oktober 1919, Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Staatsarchiv Freiburg, W 113 Nr. 0111.
"Kameraden", Aufruf der Reichszentrale für Heimatdienst, Landesabteilung Baden, zur Nutzung der Wahlfreiheit, 8. Oktober 1919, Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Staatsarchiv Freiburg, W 113 Nr. 0111.

Der Anspruch sachlich-objektiver Volksaufklärung einerseits und die mitunter propagandistischen Methoden des Reichsheimatdienstes andererseits erscheinen als zwei widersprüchliche Aspekte dieser Behörde. Nicht zuletzt deshalb wurde die Reichszentrale für Heimatdienst zeitgenössisch auch kritisiert – je nach politischem Standpunkt mit unterschiedlichen Argumenten: Von kommunistischer und deutschnationaler Seite wurde der Vorwurf artikuliert, die Behörde betreibe Regierungspropaganda. Republikanisch gesinnte Politikerinnen und Politiker bemängelten hingegen, dass der Reichsheimatdienst sich nicht effizient genug für die Weimarer Demokratie und Republik einsetze. Trotz solcher Kritik und Forderungen nach Abschaffung der Behörde, blieb die Reichszentrale für Heimatdienst bis zum Ende der Weimarer Republik bestehen. Erst im Zuge der nationalsozialistischen Machtübernahme wurde sie am 15. März 1933 aufgelöst. Die Gründung des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda hatte die Behörde in den Augen des neuen Regimes überflüssig gemacht.

Dieser Text ist ein wissenschaftlicher Beitrag zur Serie „Im Blickpunkt“. Wir danken Herrn Pierre Schmuck von der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg herzlich für die Bereitstellung.

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