Zwischen Rache und Wiedergutmachung: Der Blick der Besatzer auf die Deutschen im Jahr 1945

10.01.2023 Clemens Tangerding

Der Blick der alliierten Soldaten auf die Deutschen im Jahr 1945 war stark von den jeweils eigenen Erfahrungen während des Krieges geprägt. In den Augen vieler US-amerikanischer und britischer Soldaten waren die Deutschen ein Volk von Befehlsempfängern, denen Mitleid fremd war. Nach dem Sieg über die Wehrmacht galt es, der deutschen Bevölkerung auf internationaler Bühne die eigene Schuld an den im Krieg begangenen Verbrechen vor Augen zu führen und sie anschließend auf die Demokratie vorzubereiten. Für sowjetische und französische Soldaten standen hingegen Vergeltung und Wiedergutmachung für begangenes Unrecht im eigenen Land im Vordergrund. Wie die Alliierten die besiegten Deutschen wahrnahmen, war in den vier Zonen, in die sie das besetzte Deutschland aufteilten, sehr unterschiedlich.

Anlässlich des 40. Jahrestages der deutschen Kapitulation hielt der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker am 8. Mai 1985 eine Ansprache vor dem Deutschen Bundestag, die für die westdeutsche Erinnerungskultur richtungsweisend war. „Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung,“ sagte Weizsäcker und schrieb damit Geschichte. In der Bundesrepublik war das Kriegsende bislang nicht als Überwindung des Nationalsozialismus und Endpunkt des deutschen Angriffskrieges interpretiert worden, sondern galt als Niederlage oder Zusammenbruch des Deutschen Reiches.

Für die Bürger*innen der DDR dagegen klang die Formulierung altbekannt. Im Selbstverständnis der sozialistischen Ideologie war der 8. Mai seit der Staatsgründung als „Tag der Befreiung“ vom Faschismus begangen worden, wobei hier besonders die Rolle der Sowjetunion als Befreierin betont wurde.

Die letzte Phase des Krieges

In den letzten Kriegsmonaten – 40 Jahre vor Weizsäckers Rede – stellte sich nicht die Frage, ob das sich abzeichnende Kriegsende als Befreiung oder Besatzung zu werten sei, weder für die alliierten Soldaten noch für die deutsche Bevölkerung. Zu diesem Zeitpunkt drängten die Alliierten darauf, die deutsche Wehrmacht endlich niederzuringen und die Kapitulation zu erzwingen. Sie traten nicht als Befreier auf, sondern als Sieger. An versöhnliche Worte wie 40 Jahre später war noch nicht zu denken.

Ab 1944 besetzten die Truppen der alliierten Streitkräfte deutsches Gebiet. Seit dem 12. September befanden sich US-amerikanische Soldaten auf deutschem Boden. Bis Ende Oktober nahmen sie Aachen ein. Die britischen Truppen eroberten zusammen mit US-amerikanischen Verbänden die besetzten Niederlande, dann den Westen Deutschlands. Ebenfalls im Oktober überschritt die Sowjetarmee die deutsche Reichsgrenze in Ostpreußen. Der lange Weg bis zur Reichshauptstadt Berlin begann. Im Südwesten drang die französische Armee im Gefolge der US-Armee vor. Ab März 1945 eroberten französische Truppen eigenständig deutsche Ortschaften und Landstriche.
 

US-Soldaten treffen erstmals auf die deutsche Zivilbevölkerung

Nachdem die Soldaten der Siegermächte Dorf für Dorf und Stadt für Stadt erobert hatten, begegneten ihnen erstmals deutsche Zivilist*innen. Bislang kannten sie Deutsche nur als gegnerische Soldaten, gegen die sie kämpfen mussten. Nun galt es, mit denjenigen umzugehen, die keine Waffen trugen. 

Besonderes Augenmerk legten die Alliierten auf das Wesen der deutschen Bevölkerung: Was waren das für Menschen, die solche Grausamkeiten begehen konnten? Weil das Interesse der Militärverwaltungen und die Neugier der Zeitungsleser*innen zu Hause groß waren, fassten Offiziere und Journalist*innen ihre Beobachtungen in Worte. „Wenn alliierte Soldaten einen Laden plünderten“, schrieb der englische Kriegsreporter Alan Moorehead, „wehrte der Eigentümer sich nicht. Er erwartete es geradezu. Und der Grund war, dass er Angst hatte. Er hatte Todesangst. Und so verhielten sich die Deutschen wie jemand, den die Angst überwältigt. Sie übten sich in eifrigem Gehorsam [...]. Man sah kaum irgendwo Tränen. [...] Man sah überall diese ausdruckslosen, holzschnittartigen Gesichter.“ (Gerhardt 2005, 162)
 

Vom Untertanengeist der Deutschen hatten die britischen Soldaten bereits erfahren: Vor der Überfahrt in den Kriegseinsatz erhielten sie eine Ausgabe der „Instructions for British Servicemen in Germany“ („Leitfaden für britische Soldaten in Deutschland“). Im Kapitel „What the Germans are like“ („Wie die Deutschen sind“) wird erklärt, dass die Menschen zwischen Maas und Memel ihr Schicksal gerne in die Hände von Obrigkeiten legten. Wenn die britischen Truppen also bei den Deutschen eine besonders stark ausgeprägte Autoritätsgläubigkeit erkannten, waren diese Beobachtungen auch von den Lehrbüchern der eigenen Armee vorgeprägt. 

Die britischen und US-amerikanischen Streitkräfte unterhielten bereits seit Kriegsbeginn eine Abteilung, die der psychologischen Kriegsführung diente, die „Psychological Warfare Division“ (PWD). Sie beobachtete die Bevölkerung in der US-amerikanischen und der britischen Besatzungszone und verfasste Stimmungsbilder. Diese dienten der Militärverwaltung zur Einschätzung der Sicherheitslage. Die Offiziere notierten in einer Ausgabe unter anderem, „wie ungerührt die Deutschen im Angesicht des Leidens anderer Deutscher waren, vor allem der Flüchtlinge, die aus ihrer Heimat vertrieben waren, und der befreiten Insassen der Lager und Gefängnisse“ (Gerhardt 2005, 163).

Das mangelnde Mitgefühl der Deutschen 

In den Berichten der PWD wird mangelndes Mitgefühl als Hauptmerkmal der Deutschen beschrieben. Dieses Bild entstand jedoch nicht erst in der Besatzungszeit, also nach Kriegsende, sondern bereits in der Endphase des Krieges. Am 15. April 1945 entdeckten britische Truppen in der Lüneburger Heide das Konzentrationslager Bergen-Belsen. Der Anblick konfrontierte sie mit einem Ausmaß an Grausamkeit, das ihre Vorstellungskraft überstieg: Leichenberge, 53.000 ausgemergelte Überlebende, viele von ihnen todkrank. Ebenso schockiert waren die Soldaten von der Nähe des Lagers zur nächsten Ortschaft. 

Die Befreiung der Konzentrationslager erhärtete das Urteil, dass die Deutschen auch im Angesicht des Grauens den Blick abwendeten. Darauf mussten und wollten die Besatzungsmächte reagieren. Ein Ergebnis der Beratungen nach der Entdeckung der Konzentrations- und Vernichtungslager war die Veröffentlichung von Dokumentarfilmen aus den befreiten Lagern. Die Filme wurden als Teil eines Umerziehungsprogramms in der Wochenschau ausgestrahlt. Sie sollten den Deutschen die vor Ort verübten Verbrechen und auch die eigene Ignoranz vor Augen führen und sie zum Bruch mit der nationalsozialistischen Ideologie bewegen. Ein weiteres Ziel war es, die Verantwortlichen öffentlich zur Rechenschaft zu ziehen.

Die sogenannten Atrocity-Filme wurden sowohl von den westlichen Alliierten als auch von der sowjetischen Besatzungsmacht gedreht und zeigen Aufnahmen der Gräuel in den nun befreiten Konzentrationslagern. Die Sowjetische Militäradministration (SMAD) stellte Kommunist*innen und sowjetische Kriegsgefangene als Inhaftierte in den Fokus. Besonders viele Filme entstanden über das Lager Buchenwald bei Weimar. Dort waren neben Sinti und Roma sowie Jüdinnen und Juden bei Kriegsende in relativ großer Zahl Kommunist*innen und antifaschistische Widerstandskämpfer*innen aus anderen europäischen Ländern sowie sowjetische Kriegsgefangene interniert.

Bei der Befreiung des Lagers durch die US-amerikanischen Truppen war es einem von Kommunisten angeführten Kommando unter anderem gelungen, Erschießungen zu verhindern, die Lagerinsassen mit Waffen auszustatten und einen Teil des Wachpersonals in die Flucht zu schlagen. Um die Botschaft vom siegreichen Kampf des Kommunismus gegen den Faschismus zu untermauern, wurden Spielfilme gedreht, die diesen Aufstand nicht nur nachstellten, sondern damit auch den Mythos von der Selbstbefreiung der kommunistischen Häftlinge begründeten. Von dieser Art Film erhoffte sich die Sowjetische Militäradministration einen größeren erzieherischen Nutzen als von Atrocity-Filmen.

Der Blick der Sowjetsoldaten auf die deutsche Bevölkerung unterschied sich jedoch in einem Punkt stark von dem der anderen Alliierten. Im Gegensatz zu den britischen und US-amerikanischen Truppen hatten sie zuerst ihr eigenes Land von der Wehrmacht befreien müssen. Was sie dort sahen, schockierte sie. Die Deutsche Heeresgruppe Nord beispielsweise hatte mit Unterstützung finnischer Verbände Leningrad mehr als zwei Jahre lang von der Außenwelt abgeschnitten. Seit dem 8. September 1941 waren keine Nahrungsmittel mehr in die Stadt gelangt. Mehr als eine Million Menschen verhungerte. Als die sowjetischen Truppen die Stadt im Januar 1944 zurückeroberten, bot sich ihnen ein Bild des Grauens. 

Die Verwüstung der Sowjetunion durch die Wehrmacht

Während die Folgen der Leningrader Blockade nur ein Teil der sowjetischen Truppen zu sehen bekam, waren nahezu alle Landstreitkräfte mit den Verwüstungen und Verbrechen der Wehrmacht in der Sowjetunion konfrontiert. Die Oberbefehlshaber der Wehrmacht hatten den Einheiten an der Ostfront befohlen, bei ihrem Rückzug „verbrannte Erde“ zu hinterlassen: Die Wehrmacht zerstörte Getreidefelder und Lebensmittelvorräte, sie erschoss das Vieh und vernichtete Unterkünfte, sie demontierte Industrieanlagen und verseuchte das Wasser. Die arbeitsfähige Zivilbevölkerung verschleppte sie zur Zwangsarbeit ins Reichsgebiet. Diese Grausamkeiten führten bei den sowjetischen Soldaten zu grenzenloser Abscheu gegenüber den Deutschen.

Bei ihrem Eroberungszug durch die Sowjetunion hatten deutsche Soldaten und SS-Verbände außerdem Massenerschießungen ungekannten Ausmaßes durchgeführt. Etwa 7,4 Millionen Zivilist*innen waren vorsätzlich ermordet worden, schätzt der russische Historiker Oleg Budnizkij. Auch die Verluste der Roten Armee waren unvorstellbar, bis Kriegsende starben etwa zehn Millionen Soldaten im Kampf. Intellektuelle wie der Schriftsteller Ilja Ehrenburg verwandelten das Entsetzen in martialische Botschaften: 
„Wir werden nicht reden. Uns nicht empören. Wir werden töten. Wenn Du nicht an einem Tag wenigstens einen Deutschen getötet hast, ist Dein Tag verloren. [...] Töte den Deutschen!, bittet Dich die alte Mutter. Töte den Deutschen!, fleht Dich Dein Kind an. Töte den Deutschen!, schreit Mutter Erde. Verfehle Dein Ziel nicht, lass niemanden aus. Töte!“ (Satjukow & Gries 2015, 25)

Die Sowjet-Propaganda verzichtete auf eine Differenzierung zwischen der deutschen Wehrmacht, der SS und der deutschen Zivilbevölkerung. Die Nationalsozialisten hatten diesen Unterschied bei ihrem Eroberungszug ebenfalls nicht gemacht. Außerdem führten die Soldaten der Roten Armee „Rachebücher“. Darin beschrieben sie die Verbrechen, die deutsche Soldaten an ihren Familien und Einheiten begangen hatten (Satjukow 2008, 38).

„Sie sahen Zerstörung, Hunger und Elend, und sie wussten, wer für diese Katastrophe verantwortlich war. Als sie 1945 die Grenzen des Deutschen Reiches überschritten, brachten auch sie Tod und Zerstörung über ihre Gegner“, schreibt der Historiker Jörg Baberowski (Baberowski 2015).

Die Sowjettruppen eroberten Städte, die weit weniger zerstört waren als die eigenen. Die Menschen hatten nicht nur genug zu essen, sie besaßen Grammophone und Radios, Schmuck und Uhren. Die Plünderungen durch sowjetische Soldaten entsprangen dem anhaltenden Gefühl, dass das besiegte Deutschland weit weniger unter den Folgen des Krieges zu leiden hatte als die Sowjetunion. Neben den Gewaltakten an der deutschen Bevölkerung wurden aber immer wieder auch Gesten der Menschlichkeit ausgetauscht (Kowalczuk & Wolle 2001, 29f.)

Die sowjetischen Truppen schirmten sich zunächst strikt von der Zivilbevölkerung ab. Anders als in der britischen und US-amerikanischen Zone war der Austausch zwischen den Besatzer*innen und den Besiegten von militärischer Strenge geprägt. Mit der Aufteilung des ehemaligen Reiches in Besatzungszonen wurde allerdings klar, dass die sowjetischen Truppen einen neuen Umgang mit der Bevölkerung finden mussten, denn der Aufenthalt der Roten Armee war auf Dauer angelegt. Die Rote Armee spannte ein dichtes Netz an Kommandanturen auf. Sie nahmen auch Beschwerden der Deutschen entgegen, registrierten Versorgungsmissstände und Verkehrsunfälle.

Französische Vergeltung für die deutsche Besatzung

Die französischen Soldaten waren wie die Truppen der Roten Armee von der Eroberung des eigenen Landes durch die Wehrmacht geprägt. In Frankreich war das Ausmaß der Zerstörung zwar nicht so groß wie in der Sowjetunion, doch die Wehrmacht hatte die Angriffe von paramilitärischen Truppen der Résistance mit rigorosen Gewaltakten gegen die Zivilbevölkerung beantwortet. Am 10. Juni 1944 ermordete die SS im zentralfranzösischen Dorf Oradour-sur-Glane als „Vergeltungsmaßnahme“ 642 Menschen, darunter 207 Kinder, das Dorf wurde vollständig zerstört. Rund 75.000 Jüdinnen und Juden wurden aus Frankreich in die Vernichtungslager im Osten Europas deportiert und ermordet.

Hinzu kam, dass sich die Franzosen und Französinnen noch an die Folgen des Ersten Weltkrieges erinnerten und die 1940 erfolgte Eingliederung Elsass-Lothringens in das Deutsche Reich als Schmach empfanden. Somit blickten die französischen Soldaten, die ab 1945 Südwestdeutschland besetzten, vor dem Hintergrund des im eigenen Land durch die Wehrmacht verursachten Leids auf die deutsche Zivilbevölkerung. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass in den Besatzungstruppen eine relativ große Zahl ehemaliger Anhänger des Vichy-Regimes ihren Dienst tat, das zwischen 1940 und 1944 mit dem Deutschen Reich kollaboriert hatte (Klöckler 1998). 

Besonders betroffen vom Vergeltungsdrang vieler französischer Soldaten waren die Frauen in Baden und Württemberg. Zwar kam es nicht zu organisierten Massenvergewaltigungen wie in der sowjetischen Besatzungszone. Doch die verantwortlichen Offiziere ließen die verübten Gewaltakte ihrer Soldaten geschehen und schritten zunächst nicht ein. Die meisten Opfer verschwiegen ihr Leid. Daher kann die Zahl von 1.198 angezeigten Vergewaltigungen bei der Polizei in Stuttgart nur einen Eindruck vom tatsächlichen Ausmaß der Gewaltverbrechen geben. Hinzu kamen auch im deutschen Südwesten Plünderungen in großer Zahl. Lange Zeit war das Bild von der französischen Besatzungszone als „Ausbeutungskolonie“ vorherrschend (Hudemann 2010, 20). 

Doch die Forschung sieht die „Franzosenzeit“ inzwischen differenzierter. So entwickelte sich zwischen den französischen Besatzern und den deutschen Behörden relativ schnell ein reger Austausch darüber, wie man den Machtmissbrauch der Soldaten und die Gängelungen der Bevölkerung beenden könne. In seiner ersten Rede nach dem Krieg auf deutschem Boden sagte der Widerstandsführer gegen die deutsche Besatzung im Zweiten Weltkrieg und spätere französische Staatspräsident Charles de Gaulle am 3. Oktober 1945 auf den Stufen des Saarbrücker Rathauses: „Wir stehen an Ihrer Seite! Als Westeuropäer müssen wir trotz allem, was sich zwischen uns gestellt haben mag, in eine gemeinsame Richtung arbeiten und uns gegenseitig verstehen.“ Für einen Großteil der französischen Bevölkerung kamen die Rufe nach Aussöhnung jedoch zu früh. De Gaulle wurde für seine Rede in der französischen Presse und im Parlament scharf kritisiert. Viele Franzosen wollten die Deutschen nicht aus ihrer Schuld entlassen. 

Aus Besiegten werden Verbündete

Einen weiteren Einschnitt stellte die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik und der DDR dar. Mit der Gründung der Bundeswehr 1955 und der Nationalen Volksarmee ein Jahr später endete die kurze Zeit, in der ausschließlich Truppen anderer Staaten auf deutschem Territorium stationiert waren. Damit zeichnete sich jedoch eine neue Konfliktlinie ab, die auch die Perspektive der Siegermächte auf Deutschland und die deutsche Bevölkerung prägte. Die Bundesrepublik versprach, die eigenen Streitkräfte im Krisenfall den Westalliierten und damit der NATO zur Verfügung zu stellen. Die DDR trat dem Warschauer Pakt bei und garantierte damit dessen Mitgliedsstaaten Hilfe im Verteidigungsfall. Auf diese Weise erfuhren die ehemaligen Besiegten gleichzeitig eine Aufwertung und wurden durch die Einbindung in Militärbündnisse zu Verbündeten. Damit war in den Augen der Siegermächte die Schuld der deutschen Bevölkerung an den Gräueln des Zweiten Weltkriegs zwar nicht getilgt. In der Logik des Kalten Krieges verschob sich der Fokus von Rache und Wiedergutmachung jedoch hin zur Zusammenarbeit und Einbindung der deutschen Bevölkerung in die beiden Machtblöcke.

Die Perspektive der vier Besatzungsmächte veränderte sich im Verlauf der kommenden Jahrzehnte stark. In der unmittelbaren Nachkriegszeit dominierten die Kriegserfahrungen der Soldaten den Blick auf die Deutschen. Mit der Gründung der Bundesrepublik und der DDR endete die Besatzungszeit. Die US-Amerikaner, Briten, Franzosen und auch die Sowjets gaben den Regierungen der beiden deutschen Staaten die Kontrolle über ihre Länder zurück. Dies war ein bedeutender Schritt für die Befriedung der Beziehungen zwischen ehemaligen Kriegsgegnern. 

Vierzig Jahre später war es schließlich ein deutscher Bundespräsident, der den ehemaligen Siegermächten Anerkennung für die großen Opfer zollte, die sie für die Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus hatten erbringen müssen. Richard von Weizsäcker versuchte damit, nicht nur die Deutschen von einer anderen Deutung des 8. Mai 1945 als Tag der Kapitulation zu überzeugen. Es war ein Angebot an die einstigen Besatzer, auch ihren Blick auf das Kriegsende zu verändern.


Literatur

Ilko-Sascha Kowalczuk, Stefan Wolle, Roter Stern über Deutschland. Sowjetische Truppen in der DDR, Berlin 2001.

Oleg Budnizkij im Gespräch mit Thielko Grieß, „Politik des Kremls zielt darauf, dass die Erinnerung nicht verschwindet“, in: Deutschlandfunk, 22.06.2021.

Uta Gerhardt, Soziologie der Stunde Null. Zur Gesellschaftskonzeption des amerikanischen Besatzungsregimes in Deutschland 1944–1945/1946, Frankfurt/Main 2005.

Ulrike Weckel, Beschämende Bilder. Deutsche Reaktionen auf alliierte Dokumentarfilme über befreite Konzentrationslager, Stuttgart 2012.

Klaus-Dietmar Henke, Die amerikanische Besetzung Deutschlands, München 1995.

Jürgen Klöcker, Abendland – Alpenland – Alemannien, Frankreich und die Neugliederungsdiskussion in Südwestdeutschland 1945 – 1947, München 1998.  

Silke Satjukow, Rainer Gries, „Bankerte!“. Besatzungskinder in Deutschland nach 1945, Frankfurt/Main 2015.

Silke Satjukow, Besatzer. „Die Russen“ in Deutschland 1945–1994, Göttingen 2008.

Rainer Hudemann, Einführung in den Band 1, in: Clemens Zimmermann, Rainer Hudemann, Michael Kuderna (Hrsg.), Medienlandschaft Saar von 1945 bis in die Gegenwart, München 2010, S. 19–36.

Jörg Baberowski, Verwüstetes Land. Die Sowjetunion nach Holocaust und Krieg, in: Bundeszentrale für politische Bildung, 22.05.2015.
 

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