Im heutigen (vierten) Beitrag stellt die Projektkoordinatorin Susanne Diehr das Digitale Deutsche Frauenarchiv vor, ein interaktives Fachportal zur Geschichte der Frauenbewegungen in Deutschland, welches im September zum Jubiläumsjahr "100 Jahre Frauenwahlrecht" online ging.
Der digitale Tellerrand 04: "Das Digitale Deutsche Frauenarchiv: Gedächtnis der Frauen- und Lesbenbewegungen"
In einer Reihe von Gastbeiträgen stellen wir zukünftig spannende Themen und Projekte von Daten- und Kooperationspartnern der Deutschen Digitalen Bibliothek vor: Sei es eine neue Art und Weise sich einem spezifischen Bestand oder einer historischen Epoche zu nähern, sei es eine neue virtuelle Ausstellung oder ein besonderes Digitalisierungsvorhaben. Der Gedanke dahinter? Ein Blick über unseren digitalen Tellerrand, an dem wir unsere Leserinnen und Leser gerne teilhaben lassen wollen!
Seit dem 13. September 2018 hat Lesben- und Frauengeschichte eine neue Adresse im Netz: Das Digitale Deutsche Frauenarchiv (DDF). Frauen machen Geschichte, ist die Botschaft des DDF zum aktuellen Jubiläum ,100 Jahre Frauenwahlrecht‘. Eröffnet wurde das Portal von Bundesministerin Dr. Franziska Giffey.
Der Onlinegang des DDF fand an einem historischen Abend statt, auf den Tag genau 50 Jahre nach dem ,Tomatenwurf‘: Am 13. September 1968 flogen bei einem Delegiertenkongress des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes in Frankfurt (M.) Tomaten in Richtung Rednerpult. Eine Aktion, die Geschichte machte. Sie markiert einen der Anfänge der Neuen Frauenbewegung. Doch solche Aktionen waren (und sind) nicht unbedingt ,archivwürdig‘. Deshalb gründeten sich Dokumentationsstellen und Bewegungsarchive, um eigene Aktionen zu dokumentieren, und schließlich auch die Geschichte der Historischen Frauenbewegung wiederzuentdecken, die durch den Zivilisationsbruch des Nationalsozialismus aus dem kulturellen Gedächtnis gefallen ist.
Das heute das Jubiläum 100-Jahre-Frauenwahlrecht vielfach erinnert und gefeiert wird, ist also auch ein Erfolg feministischer Erinnerungsarbeit, die im Zuge der Neuen Frauenbewegung entstand.
Ein starkes Netz
Träger des DDF ist der i.d.a.-Dachverband. Das Netzwerk i.d.a. (informieren, dokumentieren, archivieren) arbeitet seit 1983 zusammen, seit 1994 als gemeinnütziger Verein. Die i.d.a.-Mitglieder begannen ihre Sammlungs- und Dokumentationstätigkeiten im Zuge der Neuen Frauenbewegung. Bei i.d.a. arbeiten heute 41 Lesben-/Frauenarchive, -bibliotheken und -dokumentationsstellen aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Luxemburg und Italien zusammen. Gemeinsam verfügen sie über umfangreiche Bestände zu Aktivistinnen und Organisationen der verschiedenen Phasen der Frauenbewegungen und regionalen Strömungen. Heute gehört die digitale Sicherung und Präsentation von Material zur Archivarbeit. Deshalb hat Frauengeschichte nun eine neue Adresse im Netz.
Der Auf- und Ausbau des DDF wird vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) seit Juli 2016 gefördert. Bereits ab 2012 wurde die META-Datenbank aufgebaut, mit der seit 2015 online in den Beständen der i.d.a.-Einrichtungen recherchiert werden kann. Seit Juli 2016 wird META in das DDF-Portal integriert und weiterentwickelt.
Die Frauenbewegung als erfolgreichste soziale Bewegung des 20. Jahrhunderts ist reif fürs Geschichtsbuch – doch dort ist sie bisher kaum angekommen. Ziel des DDF ist es, Themen, Kämpfe und Erfolge der Alten und Neuen Frauenbewegungen im kulturellen Gedächtnis zu verankern.
Schätze feministischer Erinnerungsarbeit
Über einen Projektfonds erhalten i.d.a.-Einrichtungen Förderung für Digitalisierungsprojekte und liefern so das Material, das im DDF-Portal präsentiert wird. Besondere Schätze verdeutlichen das Potenzial der Digitalisierung. So kann z.B. im Tagebuch der Aktivistin und Politikerin Minna Cauer, die sich als Vertreterin des radikalen Flügels der Frauenbewegung für das Frauenwahlrecht eingesetzt hat, geblättert werden.
Oder ein Fotoalbum von Alice Salomon, der Gründerin der Sozialen Arbeit in Berlin, gibt Einblick in ihre Arbeit. Besonders ist das Stück auch, weil sehr wenig aus dem persönlichen Besitz von Alice Salomon erhalten ist. Sie wurde von Nationalsozialisten aus allen Ämtern verdrängt und zur Emigration gezwungen. Das Original wird nur noch in Ausnahmefällen präsentiert, wie z.B. von Bundesministerin Giffey beim Onlinegang des DDF (siehe Foto oben). Mit dem DDF und der darin integrierten Datenbank META hat nun jede und jeder die Möglichkeit, digital durch das Album zu blättern.
Eine Besonderheit des digitalen Archivs ist auch das Akteurinnen-Netzwerk. Es stellt Verbindungen von Akteurinnen der Frauenbewegung dar und ist gleichzeitig ein interaktives Navigationsangebot.
Bewegungsgeschichte digitalisieren
Eine Herausforderung beim Aufbau des DDF ist die Rechteklärung. Es gibt keine allgemeine Erlaubnis für Kulturerbeinstitutionen, ihre Bestände im Netz zu präsentieren. Für jedes einzelne Objekt müssen Nutzungsrechte eingeholt werden.
Gerade kleinere Institutionen wie Erinnerungseinrichtungen sozialer Bewegungen arbeiten mit wenig Mitarbeiter*innen, vielfach ehrenamtlich. Das erschwert die Vertiefung in komplexe rechtliche Regelungen. Außerdem haben Bewegungsarchive Materialien wie Plakate oder Flugblätter, deren Rechteklärung eine besondere Herausforderung aufgrund unklarer Urheberinnen darstellt.
Die Erfahrung aus der Digitalisierung für das DDF wurde in einer Broschüre als Praxistipps zur Rechteklärung zusammengefasst, die kostenfrei bestellt oder heruntergeladen werden kann.
Die zum Onlinegang im September 2018 präsentierten Archivalien im DDF waren erst der Anfang: regelmäßig kamen und kommen neue Materialien hinzu. Bisher ist erst eine Auswahl der Bestände digitalisiert, außerdem wachsen die Bestände stetig weiter. Die Dokumente feministischer Bewegungen zu sichern und analog wie digital aufzubereiten, ist eine dauerhafte Aufgabe.