Bestand

E 105 Pflegrechnungen von Universitätsverwandten (Bestand)

Form und Inhalt: A. Bestandsgeschichte
Der vorliegende Bestand E 105 enthält Pflegrechnungen von Universitätsverwandten. Er ist in Ausübung der freiwilligen Gerichtsbarkeit der Universität Tübingen erwachsen und umfasst 38 Fälle der Zeit von 1691 bis 1799 im Umfang von 4 Regalmetern.
Die Entstehung dieses Bestandes ist auf den Freiheitsbrief von Graf Eberhard im Barte für die Universität Tübingen zu deren Gründung 1477 zurückzuführen.[1] Zu den hier verliehenen Privilegien gehörte neben der Polizeigewalt und dem Recht der Selbst-gesetzgebung auch die eigene Gerichtsbarkeit in Zivil-, Straf- und Disziplinar-angelegenheiten.
Durch die Aufhebung des Akademischen Bürgerrechts im Jahre 1828 ging die Ausübung der Gerichtsbarkeit von der Universität auf die nunmehr gesetzlich dafür zuständigen Behörden über.[2] Dies waren im Einzelnen:
für Exemten I. Klasse (Kanzler und ordentliche Professoren) der Gerichtshof für den Schwarzwaldkreis,
für Exemten II. Klasse (außerordentliche Professoren, Universitätsbeamte, Studenten) das Oberamtsgericht,
für Nichtexemten (alle übrigen Universitätsangehörige) das örtliche Gerichtnotariat.
In den Jahren 1829 bis 1831 erfasste der Rechtskandidat Christian Ludwig Pfaff im Auftrag der Universität (als "studentische Hilfskraft") den gesamten bis ins 15. Jahrhundert zurückreichenden Bestand der freiwilligen Gerichtsbarkeit der Universitätsregistratur.[3] In drei Abgabelisten [4] wies er die Akten gemäß dem Statut von 1829 den jeweiligen Nachfolgebehörden zu, allerdings nicht nur die angeforderten Akten ab 1770, sondern den gesamten Bestand.
In der nachfolgenden Zeit gingen Teile dieser an Gerichtsnotariat und Oberamtsgericht Tübingen abgegebenen Konvolute in kommunalen Besitz[5] über und gelangten schließlich in das Stadtarchiv Tübingen.
Sie müssen zumindest bis in die dreißiger Jahre teilweise separat gelagert worden sein, denn 1934 stieß Paul Löffler „bei Durchsicht der alten Bestände des städtischen Archivs […] auf die Akten der Universitätsverwandten, die noch […] in alten Umschlägen niedergelegt“ waren.[6] 1980 wurden 194 der 205 Faszikel der Löfflerschen Liste (11 waren nicht mehr auffindbar) dem Universitätsarchiv Tübingen als Dauerleihgabe überlassenen, wo sie nun die Basis des Bestandes UAT 285 bilden.[7]
Um 1960 wurden vom damaligen Stadtarchivar Heribert Kopp die Bestände der Pflegrechnungen neu erfasst und verpackt. Im Zuge dieser Magazinarbeiten wurden Akten universitären Herkunft des 18. Jahrhunderts, die in den Pfaffschen Listen sowohl zur Abgabe an das Gerichtsnotariat wie an das Oberamtsgericht aufgeführt sind, in die städtischen Bestände eingereiht.[8] Dieser zusammengefasste Bestand trug die Bezeichnung "Pflegschafts-Akten I. Reihe 1700-1900" und war auf zwei Standorte (Magazin Kepler-Gymnasium und Tresor Stadtarchiv) verteilt. Eine ähnliche Vermischung von Akten städtischer und universitärer Provenienz fand auch bei den Inventuren und Teilungen statt.[9]
Nach der Zusammenführung des Bestandes in den gemeinsamen neuen Standort Magazin Rathausgasse unter der Bezeichnung A 105, Pflegrechnungen (1700 - 1900), wurde zu Beginn der 80er Jahre diese Vermischung der verschiedenen Bestände von Stadtarchivar Udo Rauch festgestellt.[10] Eine provenienzgerechte Neugliederung der städtischen und universitären Pflegschaftsakten (und auch der Inventuren und Teilungen) unter Berücksichtigung der alten Repertorien bzw. Abgabelisten wurde nun ins Auge gefasst.
Nachdem unter diesen Vorgaben die entsprechenden Bereiche der Inventuren und Teilungen in den Jahren 1986 bis 1988 von Gerhard Faix rekonstruiert worden waren, wurden die Akten der Pflegrechnungen in den Jahren 1989 bis 1990 von Erich Sommer analog durchgearbeitet.
Im Zuge dieser Neu-Ordnung wurden aus dem bisherigen Bestand A 105, "Pflegrechnungen 1700 - 1900", 12 Regalmeter städtischer Akten des 19. Jahrhunderts auf Grund ihres Alters bzw. ihrer Signatur dem Bestand A 100 ("Städtische Pflegrechnungen des 19. Jahrhunderts") zugeführt. Die verbleibenden Akten konnten in die Teile zweier alter Bestände auseinanderdividiert werden, nämlich in die älteren städtischen Pflegrechnungen (jetzt: A 105, "Städtische Pflegrechnungen des 18. Jahrhunderts") und die Pflegrechnungen der Universitätsverwandten (jetzt: E 105: "Pflegrechnungen von Universitätsverwandten").
Bei der Neuverzeichnung des vorliegenden Bestandes wurden die Akten in eine alphabetische Reihenfolge gebracht. Die Pfaffschen Altsignaturen von 1831 nach den jeweiligen Orten der Übergabe sind in die Titelaufnahme eingegangen. Eine Akte aus dem Collegium sowie 4 Faszikel von Pflegschaftsfällen, die nicht bei Pfaff erscheinen, jedoch eindeutig universitärer Provenienz sind, wurden ebenfalls dem Bestand zugeordnet.
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B. Besonderheiten
Bei der Durchsicht des vorliegenden Bestandes fielen bei einigen Pflegschaften Besonderheiten bzw. Abweichungen von den normalen Fällen auf, die notiert wurden und an dieser Stelle kurz wiedergegeben werden sollen.
Der überwiegende Grund für die Einrichtung einer Pflegschaft bestand im Todesfall des Familienvaters. Die Verwaltung des ererbten Vermögens wurde einem von der Obrigkeit bestimmten Pfleger bis zur Volljährigkeit (25 Jahre) bzw. Heirat der Pfleglinge übertragen. Die Mutter kam als (nach dem damaligen Rechtsverständnis) nicht voll rechtsfähige Person für das Amt des Pflegers nicht in Betracht, sondern musste sich selbst durch einen von ihr erwählten Kriegsvogt bei allen Rechtsgeschäften vertreten lassen.
Aber auch andere Umstände konnten zur Einrichtung einer Pflegschaft führen: E 105/004: Der Pflegling ist auf Wanderschaft
E 105/010: Die Ehefrau eines Goldschlagers wurde in das Ludwigsburger Tollhaus eingewiesen
E 105/024: Verwaltung des Vermögens eines Arztes
E 105/025: Auswärtiger Aufenthalt (Pappenheim, Nellingen bei Esslingen) des Pfleglings
E 105/035: Der Pflegling ist Soldat in Ostindien (und dort gestorben)
E 105/036: Curatelrechnung einer Concurs-Masse, der Pflegling ist entwichen.
Bei den Pflegschaften der Universitätsverwandten wurden in nahezu allen Fällen ebenfalls Universitätsverwandte als Pfleger bestellt.
Ausnahmen hierbei waren:
E 105/004: Der Erblasser war Buchbinder, der Pfleger Bürgermeister (der Vater der Ehefrau)
E 105/005: Der Erblasser war Speismeister im Stipendii Martiani, der Pfleger Gerichtsverwandter und Chirurg
E 105/007: Der Erblasser war Buchdrucker, der Pfleger Bürgermeister
E 105/009: Der Erblasser war franz. Sprachmeister, der Pfleger Stadtschreiber
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E 105/028: Der Erblasser war Rentkammer-Expeditionsrat -Rat zu Stuttgart, der Pfleger Stadt- und Amtspfleger
Unter den Akten befinden sich neben den üblichen Beilagen zur den Rechnungen (wie z. Bsp. Belege für die Einnahmen aus dem Vermögen und die Aufwendungen für den Pflegling) zum Teil auch Abschriften der Teilungsinventuren, der Teilzettel und der Auktionsprotokolle.
Hierbei fielen besonders auf:
E 105/013: Der Erblasser war Kunstmaler. Die Akten enthalten ein umfangreiches und detailliertes Verzeichnis des Ateliers (Gemälde, Farben etc.)
E 105/030: Die Akten enthalten eine umfangreiche Büclerliste
E 105/031: Die Akten enthalten einen gedruckten und mit (Antiquariats-)Preisen versehenen Verkaufskatalog der außerordentlich großen Büchersammlung
Eine weitere Besonderheit fiel bezüglich der Abgabelisten von 1831 auf: Bei
E 105/029 hat sich Christian Ludwig Pfaff ganz offensichtlich verschrieben (Rümelin statt Renz).
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C. Benutzungshinweise
Bei der Neuverzeichnung des Bestandes E 105 "Pflegrechnungen von Universitäts-verwandten" wurden die Akten in eine alphabetische Reihenfolge gebracht. In den jeweiligen Titelzeilen des Repertoriums befindet sich diese Neusignatur in Fettschrift auf der linken, die Altsignatur der Pfaffschen Abgabeliste von 1831 auf der rechten Seite in Klammern. Hierbei bedeuten: GN = Gerichtsnotariat und OAG = Ober¬amtsgericht.
Die Schreibweise der Namen entspricht der auf dem Titelblatt der ersten Rechnung. Allerdings wurden sowohl die alte Genitivnachsilbe "...en" wie auch das weibliche Suffix "...in" aufgelöst.
Bei den meisten Pfleglingen ist in den Akten das Alter angegeben. Die in der Titelaufnahme des Repertoriums daraus errechneten Geburtsjahre wurden in eckige Klammern gesetzt, da sie - je nach Geburtsmonat - um plus/minus ein Jahr schwanken können.
Die Laufzeit der Akten befindet sich rechts in der Zeile des Aktenumfanges. Bei Pflegerwechsel ist die Amtsdauer des jeweiligen Pflegers gesondert ausgewiesen, ansonsten entspricht die Laufzeit der Akten der Amtszeit des Pflegers.
Erich Sommer
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Fußnoten:
[1] Michael Wischnath in der Einleitung zum Thematischen Repertorium: "Die Akten der freiwilligen Gerichts¬barkeit an der Universität Tübingen 1520 -1800", bearbeitet von Heinz Alfred Gemeinhardt, Tübingen 1988, S.10 f., in: "Werkschriften des Universitätsarchivs Tübingen", herausgegeben von Volker Schäfer, Reihe 2, Heft 14,
[2] "Organisches Statut für die für Universität Tübingen" vom 18.01.1829, in: "Vollständige, historisch und kritisch bearbeitete Sammlung der württembergischen Gesetze", hrsg. von A. L. Reyscher, Bd. 11, Abt. 3: Universitätsgesetze, Tübingen 1843
[3] Volker Schäfer im Vorwort zum Thematischen Repertorium: "Die Akten der freiwilligen Gerichtsbarkeit an der Universität Tübingen 1520 -1800", bearbeitet von Heinz Alfred Gemeinhardt, Tübingen 1988, S. 7, in: "Werkschriften des Universitätsarchivs Tübingen", herausgegeben von Volker Schäfer, Reihe 2, Heft 14,
[4] Universitätsarchiv Tübingen, 117/58
[5] Volker Schafer, a.a.O.
[6] Tübinger Blätter, 25. Jahrgang 1934, S. 21 ff., "Archivalien des städtischen Archivs in Tübingen, Eheverträge, Inventarien, Pflegrechnungen und Testamente aus den Jahren 1431 - 1696", ausgezogen von Paul Löffler.
[7] Michael Wischnath, Einleitung zum Thematischen Repertorium ..., S.13
[8] maschinenschriftliches Personenverzeichnis von Heribert Kopp (5 Seiten), 1960, Stadtarchiv Tübingen, AZ. 362 - 1226 / A 105,
[9] Repertorium zum Bestand E 101, Inventuren und Teilungen von Universitätsverwandten (1525 - 1827), bearbeitet von Gerhard Faix, Tübingen 1988, sowie Gerhard Faix, "Inventuren und Teilungen im Stadtarchiv Tübingen", ein maschr. Arbeitsbericht, Tübingen 1986
[10] "Vorläufige Beständeübersicht für das Stadtarchiv Tübingen" von Udo Rauch, Universitätsstadt Tübingen 1987, S.59.

Reference number of holding
E 105
Extent
4 lfd. m

Context
Stadtarchiv Tübingen (Archivtektonik) >> E: Fremdprovenienzen

Date of creation of holding
1691-1803

Other object pages
Provenance
Universität Tübingen
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Last update
04.09.0011, 12:04 AM CET

Data provider

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Object type

  • Bestand

Time of origin

  • 1691-1803

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