Von Bikinis, Zwickelerlässen und Atombomben

17.06.2020 Wiebke Hauschildt (Online-Redaktion)

Am Ende war es die Filmindustrie, die einen Schlussstrich unter die jahrzehntelang geführten Diskussionen um den Bikini als angemessene Badebekleidung für Frauen zog. Der Kinofilm „James Bond – 007 jagt Dr. No“, der mit Sean Connery als Titelhelden im Oktober 1962 in London uraufgeführt und im Januar 1963 in die bundesdeutschen Kinos kam, machte den Bikini salonreif und glättete die bis dahin moralisch aufgewühlten Wogen um dieses eher minimalistisch gehaltene Bekleidungsstück. In einer mittlerweile legendären Szene steigt das erste „Bond-Girl“ der Geschichte, die schweizerische Schauspielerin Ursula Andress, in einem cremefarbenen Baumwoll-Bikini aus dem Meer. Der erste James-Bond-Film verhalf aber nicht nur dem Bikini zu internationaler Akzeptanz und Beliebtheit, auch die beiden Hauptdarsteller schafften so ihren internationalen Durchbruch.

Vor langer Zeit in Italien...

Nun ist der Bikini zwar nominell eine Erfindung der Moderne (aber dazu kommen wir später), de facto war zweiteilige Bademode bereits in der italienischen Antike bekannt. Das Mosaik „10 Ragazze“ (zu Deutsch „10 Mädchen“) stammt aus der Villa Romana del Casale (Sizilien, 3./ 4. Jahrhundert nach Christus) und zeigt junge Sportlerinnen in Bikinis. Im englischen Sprachraum werden die Protagonistinnen dieses Mosaiks dann auch anachronistisch als „Bikini Girls“ bezeichnet.

Und sogar noch viel früher, in der jungsteinzeitlichen Siedlung Çatalhöyük in der heutigen Türkei, datiert auf circa 5.600 vor Christus, wurden Bildnisse einer Göttin gefunden, die von zwei Leoparden flankiert eine Art Bikini trug. Ebenso auf griechischen Urnen aus dem 15. Jahrhundert vor Christus sind Frauen dargestellt, die aus sportlichen Gründen Zweiteiler trugen.

Doch auch wenn die Antike offensichtlich wenig Probleme mit dieser Form von weiblicher Bekleidung hatte, sollte es noch einige Tausend Jahre dauern, bis das Tragen eines Zweiteilers zum Schwimmen oder zur sportlichen Betätigung zumindest in der westlichen Welt akzeptiert wurde.

Vor nicht ganz so langer Zeit in Deutschland...

Ende des 19. Jahrhunderts war das Schwimmen im Meer oder in Seen von recht konservativer Kleidung für Damen begleitet, wenn es denn überhaupt stattfand. Meist selbst genäht oder gestrickt, trug frau lange Kleider, Hosen und Oberteile für den Sprung ins kühle Nass. Die Mode änderte sich nur langsam. Eine Revolutionärin auf diesem Gebiet war die australische Schwimmerin Annette Kellerman, die 1907 in Massachusetts (USA) am Strand verhaftet wurde, da sie ein einteiliges, eng anliegendes Schwimmkostüm trug. Kellerman war durch ihre erfolglosen Versuche, den Ärmelkanal zu durchschwimmen, bekannt geworden. Nun wurde ihr aber eine ganz andere Art von Aufmerksamkeit zuteil.

Was aber war an dieser modischen Wahl Kellermans gesetzeswidrig? Der Badeanzug, den sie an diesem Tag für einen Schwimmwettkampf trug, war ein Badekostüm für Männer – enganliegend und ärmelfrei. Ihr wurde Erregung öffentlichen Ärgernisses vorgeworfen, weshalb sie festgenommen und (kurz) eingesperrt wurde. Der Fall war wochenlang Gespräch in Öffentlichkeit und Medien, historisch aber ein Schritt in Richtung weiblicher Selbstbestimmung.

Auch in Deutschland entwickelte sich die Bademode Anfang des letzten Jahrhunderts weg vom bodenlangen Baumwollkleid, welches – nass und vollgesogen – für Schwimmerinnen aufgrund des Gewichts lebensgefährlich werden konnte, hin zu zumindest kürzeren Gewändern. Im gleichen Atemzug änderte sich das Mantra der „vornehmen Blässe“ hin zu einer „gesunden Bräune“, weshalb immer mehr Frauen in immer kürzerer Bekleidung das Baden und Schwimmen praktizierten.

Eine erfreuliche Entwicklung, zumindest so lange bis ein preußischer Beamter auf die neue Freizügigkeit aufmerksam wurde. Der besuchte eine der Badeanstalten, die sich ab Ende des 19. Jahrhunderts ausbildeten, und bemerkte, dass die Bademode, sobald sie nass war, die menschliche Anatomie bei Männern wie bei Frauen quasi in Gänze abbildete.

Und so kam es am 18. August 1932 zum „Zwickelerlass“ in Deutschland. Der Zwickel aus Textil war ein dreieckiges Stück Stoff, welches im Schritt der Badekleidung eingenäht wurde, um so visuell das Schlimmste zu verhindern. Das Baden mit Zwickel galt für die Männer, ging aber einher mit dem Dekret, dass Frauen nur noch mit Anzug schwimmen durften, der ihre Vorderseite vollständig bedeckte und mit einem höchstens unter die Schulterblätter reichenden Rückenausschnitt. Wer diese Vorschriften nicht befolgte, konnte das Pech haben, von „Zwickelkontrolleuren“ erwischt zu werden. Diese hatten im Vorfeld amtliche Badekostüme auf ihre Polizeidienststellen geschickt bekommen, um eventuelle Uneinigkeiten mit den Zwickelverweigerern argumentativ untermauern zu können.

Der verantwortliche Reichskommissar Franz Bracht starb bereits ein Jahr später und erlebte deshalb die Erfindung des modernen Bikinis im Jahr 1946 (zu seinem Glück) nicht mehr mit.

Vor gerade mal 74 Jahren in Frankreich...

Der Maschinenbauingenieur Louis Réard arbeitete bei dem Autohersteller Peugeot bis in die Mitte der 1940er Jahre, bevor er von seiner Mutter ein Geschäft für Unterwäsche übernahm. Das Grauen des Zweiten Weltkriegs noch klar vor Augen, möchte er den Menschen ein bisschen Lebensfreude wiedergeben und entwirft 1946 einen sehr knappen Zweiteiler als Badekostüm für Frauen. Die zuvor durch alle Medien gegangenen amerikanischen Atomtests auf dem Bikini-Atoll nimmt er als Inspiration für die Benennung: Bikini heißt das neue Kleidungsstück und Réards Wunsch gemäß soll es einschlagen wie eine Atombombe.

Der Marketingcoup gelingt – nur gehen die Reaktionen in eine etwas andere Richtung als erwartet. Anstatt die Kühnheit des Entwurfs zu feiern, sind fast alle entsetzt. Für die Präsentation des Bikinis konnte Réard nur Micheline Bernadini als Model gewinnen, eine Nackttänzerin aus dem Varietétheater, die den Bikini gekonnt vorführt. Doch die gesellschaftliche und mediale Aufregung stärkt in Réard die Auffassung, etwas Großes kreiert zu haben. Er lässt sich den Bikini nur zwei Wochen später patentieren. 

Der Verkauf von der Stange lässt sich schwierig an. In Italien, Spanien, Portugal und den USA ist das Tragen des Bikinis sofort verboten, in Réards französischem Heimatland ist man sich uneinig. Im Jahr 1949 dürfen Frauen den Bikini am Mittelmeer tragen, nicht aber an der Atlantikküste. Die Wende kommt in den 1960er Jahren mit der Zeit der sexuellen Befreiung und dem Kampf der Frauen für Selbstbestimmung. Ebenso wie der Minirock wird der Bikini Teil der Emanzipationsbewegung und zum Symbol für Freiheit.

Seine von Furore geprägte Entstehungsgeschichte sieht man dem Bikini heute nicht mehr an. Auf die Revolution folgte der Mainstream. Und die legendäre James-Bond-Szene? Die wurde mittlerweile weitere zwei Male kopiert: Halle Berry entstieg 2002 in „Stirb an einem anderen Tag“ als Bond-Girl im Bikini aus dem Meer, im Folgefilm „Casino Royale“ war es Daniel Craig als Bond selbst, der ebenfalls aus dem Meer kam. Leider nicht im Bikini, dafür in knapper hellblauer Badehose.

P.S. Ein Artikel über Bikinis ohne Bikinis? Die gibt es bei der Deutschen Digitalen Bibliothek hier.


Quellen und Links

(Letzter Zugriff 17.06.2020)

Wikipedia "Bikini" (DE)

Wikipedia "Bikini" (EN)

Welt "Wie die Atombombe die Bademode scharf machte"

Ze.tt "Warum der Bikini das wohl skandalöseste Kleidungsstück der Geschichte ist"

Vogue "Geschichte der Bademode"

Wikipedia "Badebekleidung" (DE)

Wikipedia "Swimsuit" (EN)

BR "Zwickelerlass gegen anstößige Badebekleidung"


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