Neue Virtuelle Ausstellung: „Bahnriss?! Papier I Kultur“

Neue Virtuelle Ausstellung: „Bahnriss?! Papier I Kultur“

21.04.2017

Von Wiebke Hauschildt (Online-Redaktion)

Anlässlich des Welttages des Buches am 23. April 2017 wird die virtuelle Ausstellung „Bahnriss?! Papier I Kultur“ freigeschaltet, die auf einer 2016 in Leipzig gezeigten Sonderausstellung aufbaut. Die vom Deutschen Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig in Kooperation mit der Deutschen Digitalen Bibliothek entstandene Ausstellung nimmt die wechselvolle Geschichte des Allerweltstoffes Papier in 17 Kapiteln unter die Lupe und spannt den Bogen von der Lumpenwirtschaft vorindustrieller Zeiten über das Sicherheitswasserzeichen und stillgelegte Zeitungsdruckpapierfabriken bis in die Gegenwart.

Wenn das Deutsche Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Nationalbibliothek der Welt des Papiers zunächst eine Sonderausstellung widmet und nun auch einen Abstecher ins papierferne Medium Internet macht, so ist dies nicht nur in der Tatsache begründet, dass diese Einrichtung über eine der auch international gesehen größten papiergeschichtlichen Sammlungen verfügt, sondern vor allem Ausdruck des Bedürfnisses, die Veränderungen eines seit Jahrhunderten erprobten Werkstoffs und Mediums zu erfassen und den funktionalen Wandel seiner Verwendung kenntlich zu machen.

Papier-Pappen- & Preßspahnfabrik v. D. Beck in Döbeln, Einzelblatt aus: Louis Oeser (Hg.): Album der sächsischen Industrie, Band 2, Neusalza : Oeser 1856, Deutsches Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Nationalbibliothek

Bahnriss?!

Der Titel der Ausstellung – „Bahnriss“ – bezieht sich auf einen Ruf im Maschinensaal der Papierfabrik, der ertönt, wenn ein technischer Störfall eingetreten ist und die endlose Papierbahn auf dem langen Weg zwischen Sieben, Walzen und Trockenzylindern gerissen ist. Wird „Bahnriss!“ gerufen, müssen die Druckmaschinen sofort gestoppt werden, da es sonst zu schwerwiegenden Maschinenschäden kommen kann. Sodann müssen die Reste der zerfetzten Papierbahn beseitigt und die Produktion neu in Gang gebracht werden.

Der „Bahnriss“ ist den Kuratoren der virtuellen Ausstellung zufolge heute jedoch nicht nur eine maschinelle Gefahr; der Riss der engen Bindung von Papier und Kultur droht durch das Zeitalter der Apps und multifunktionale Fernsehgeräte. Und auch wenn die Papierproduktion weltweit steigt, so ist der heute wichtigste Sektor nicht so sehr ein kultureller wie ein alltagskultureller: das Verpackungspapier.

Von Asien nach Italien nach Nürnberg: Aus Suppe mach Blatt, aus Wespennest Papier

Im 13. Jahrhundert hatte die Kunst des Papiermachens seinen Weg aus Asien nach Italien gefunden und wurde dort weiterentwickelt. Die „Fasersuppe“ aus Lumpen und Wasser, wie der französische Schriftsteller Érik Orsenna sie liebevoll nennt, wurde in Papiermühlen so aufbereitet, dass man die Fasern mit drahtbespannten Schöpfformen abschöpfen und daraus Papierbogen bilden konnte.

 Aus Italien stammende Papiermacher halfen 1390 in Nürnberg bei der Errichtung der ersten Papiermühle auf deutschem Boden, die bald Nachfolger finden sollte. Die spätmittelalterliche Technik hatte mit einigen technischen Verbesserungen Bestand bis in frühindustrielle Zeiten im zweiten Viertel des 19. Jahrhunderts.

Befestigung der Siebbespannung am Rahmen der Schöpfform. Das aus Rippdrähten und Kettdrähten bestehende Sieb wird mit einem weiteren Draht an den Querleisten der Schöpfform, den sogenannten Stegen, festgenäht. Foto: Deutsche Nationalbibliothek, Stephan Jockel (CC BY-SA 4.0 International)

Im 18. Jahrhundert wuchs der Bedarf an Papier ganz erheblich. Verwaltung und Justiz, aufkommendes Pressewesen, steigende Literaturproduktion, aber auch gewerbliche Bedürfnisse steigerten die Nachfrage und beförderten die Neugründung von Papiermühlen. Deren Rohstoffversorgung beruhte bisher ganz auf der Verwertung von Lumpen. Die Frage lag in der Luft, ob sich die Papiermacherei neben dieser Verwertung sekundärer Rohstoffe auch eine unmittelbare Rohstoffbasis schaffen könne. Der Theologe und Naturforscher Jacob Christian Schaeffer führte zu diesem Zweck im 18. Jahrhundert umfassende Experimente durch und stieß über Wespennester auf den Gedanken Papier aus Holz zu machen:

„Allein ich muß bekennen, daß es gleichwol die Wespennester sind, denen ich die meisten meiner übrigen Versuche zu danken habe. Ohne sie, und ohne zuvor den Versuch mit ihnen gemacht zu haben, würden ganz gewis die wenigsten meiner dermaligen Versuche ihre Wirklichkeit erreichet haben. Die Wespennester sind der wahre Grund von der Warheit des, wie es scheinet, sich widersprechenden Satzes : hölzernes Papier. Vieleicht, und ich glaube es gewis, wäre ich und kein sterblicher Mensch je auf die Gedanken kommen, daß sich aus Holze Papier machen lasse, wenn es keine Wespennester gäbe. Der Versuch mit ihnen gehöret also ganz vorzüglich und nothwendig zu meinen Versuchen.“

Der natürliche Papiermacher. Jacob Christian Schaeffers Versuche und Muster ohne alle Lumpen oder doch mit einem geringen Zusatze derselben Papier zu machen, Band 1, Regensburg, 1765, Tafel II, Deutsches Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Nationalbibliothek

Geschichten, die das Papier schreibt: Der Lumpensammler, Riesaufdrucke und Egoutteure

Er ist heute ausgestorben und war bei der Papierproduktion doch von fundamentaler Bedeutung: der Beruf des Lumpensammlers. Mit der Verbesserung des Buchdrucks durch Gutenberg stieg die Nachfrage nach Stoffabfällen zur Papiergewinnung. Die Lumpensammler zogen mit ihren Karren durch die Straßen und mussten sich die Lumpen verschaffen, die sie dann den Papiermühlen lieferten, wo sie bezahlt wurden. Lumpen als Rohstoff waren derart begehrt, dass in den Kirchen die Pfarrer sogenannte „Lumpenpredigten“ abhielten – „Sammelaufrufe zur Nachhaltigkeit“, schreibt der Tagesspiegel. Es ging so weit, dass ein regelrechter „Lumpenschmuggel“ begann. Die Obrigkeiten griffen ein und es wurde verboten, Lumpen über die Landesgrenzen zu bringen.

Die Ausstellung „Bahnriss?! Papier I Kultur“ erzählt noch viele weitere Geschichten rund um das Thema Papier – so von Riesaufdrucken, Egoutteuren und dem Aufkommen der Serviette:

Hier geht es direkt zur Ausstellung.

 

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